Wau! – Toihaus Theater

„Wow“, bellte der Mensch

Im Toihaus Theater in Salzburg ist mit Arturas Valudskis WAU! der Hund los, der Mischling wohlgemerkt – mit kleinem Schuhfetisch, großen Botschaften und Anleihen an Bachtins Lachkultur. Ein geistreich schräger Abend.

In der Literatur und Kunst ist alles möglich. Deshalb ließ der ehemalige russische Arzt und später Autor Michail Bulgakow 1925 seinen Protagonisten in „Das hündische Herz“ zu Messer und Skalpell greifen und einem daher gelaufenen Hund die Hirnanhangdrüse und Hoden eines Alkoholikers und Kleinkriminellen einsetzen. Keine gute Idee, wie sich alsbald herausstellte; die sonderbare Tiermensch-Kreuzung entwickelte ein unerquickliches Eigenleben und mauserte sich prompt zum stereotypen Proletarier und Albtraum seines Schöpfers. Also alles wieder auf Anfang. Uff. Die Regime-Kritik des Autors allerdings saß und bewirkte ein Publikationsverbot der hündischen Mär. 93 Jahre später ist das längst passé und das Experiment, das sich jetzt WAU! nennt, erobert in leicht, okay, in sehr veränderter Manier die Bühne des Toihaus Theater (Regie, Konzept und Ausstattung: Arturas Valudskis, Licht und Technik: Robdert Schmidjell).

Zinneken Pis

Düstere Stimmung und Bühnennebel leitet die Ver- und Entwandlung des tierischen Genossen ein. Der beweist nicht nur die richtige Nase für Pilze, sondern auch Mut zur Hässlichkeit. Andreas Jähnert schlüpft in die Rolle des hündischen Unruhestifters und beginnt gleich einleitend zu schnüffeln. Danach folgt eine Reflexion, die sich als erstaunlich tiefsinnige Introspektion entpuppt. Dieses Wesen, das sich gerade noch darüber beschwerte, getreten und mit heißem Bratenfett übergossen worden zu sein, ist tatsächlich philosophisch begabt. Apropos Wesen! Handelt es sich eigentlich wirklich noch um einen Hund? Die Grenzen sind nicht klar erkennbar; immer wieder wandeln die beiden Figuren (Pascale Staudenbauer mimt das menschlich-weibliche Pendant) scheinbar zwischen den Spezies. Sie festzulegen, bedarf einiger geistiger Mitarbeit und trotzdem schlüpfen sie liebend gerne wieder durch kleine Klischee-Lücken. Hund ist nicht gleich Hund, soviel steht nach kurzer Zeit fest. Dass sich das verärgerte hündische Experiment, das erst später zu pöbeln beginnt und wie von Sinnen Grimassen schneidet, dann aber in einen Golem wandelt, ist eine weitere Anspielung, die die Phantasie anregt. Nun gut, sie mag vielleicht etwas mit Sarkasmus gewürzt sein, immerhin pinkelte der Hundemensch gerade noch fröhlich auf einen Sessel. Richtig, er pinkelte, oder besser gesagt: er scheinpinkelte – seit IMMERSION. WIR VERSCHWINDEN offenbar eine kleine, aber feine Paradedisziplin von Andreas Jähnert, mit dem gewissen Schockmoment (WAS, echt jetzt? Nein…! Oder etwa doch?). Trotzdem zieht das Mischwesen dann einen Zettel aus seinem Mund. Statt den Namen Gottes enthält der allerdings eine Gebrauchsanweisung für Frauen – oder das, was sich Männer vielleicht darunter vorstellen.

Karnevaleskes Treiben

In WAU! steht nicht die Kritik am Kapitalismus im Fokus, sondern die am System Zeitgeist. Schönheitswahn, der Wunsch nach ewiger Jugend und die Beziehung zwischen Mann und Frau bilden das Movens der Produktion; das wird aber so verdichtet und in geballter Ladung präsentiert, dass die Botschaft erst nach und nach aufgedröselt und verstanden werden kann. Den weiblichen Part übernimmt Pascale Staudenbauer, die mit Schuhen um sich wirft und gemeinhin erst das Schuh-Motiv ins Stück einführt. Es scheint nämlich tatsächlich die Fußbekleidung zu sein, die den Menschen konstituiert. Zumindest in WAU! – wo die Frau mit dem Mann kokettiert und ihm durch das Überstreifen der Schuhe zur Menschwerdung verhilft – ein bisschen so wie Adam und Eva, in invertierter Version. Das führt zu ironisch-komischen Situationen; wie ihm auf dem Boden liegend und sie, die verzweifelt versucht, ihn aufzurichten. Irgendwann kapituliert sie und legt ihm stattdessen einen Stuhl unter, während sie aufrecht daneben sitzt. Das Resultat ist ein verrückt-absurdes Tableau vivant, das Bulgakow zu Ehren gereicht. Zu Höchstformen läuft dieses karnevalske Treiben im Sinne der Bachtin’schen Lachkultur mit dem emotionalen Pilzvortrag und den geliehenen Armen auf. Und hier ist sie endlich, die greifbare Persiflage auf die Massenmanipulation durch die Regierung. Die nämlich stopft ihrem Volk mit Vorliebe ominöse Pilze in den Mund, woraufhin alle nur noch die gleiche Meinung äußern können. In eine ähnlich komisch-kroteske Richtung zielt die musikalische Untermalung von Yorgos Pervolarakis  (das Unversal-Talent an Gitarre, Mundharmonika und Windmaschinen) und Arturas Valudskis (mit wunderbar markant-rauchiger Stimme am  Klavier), die gleich umherziehenden Musikanten, die Handlung umrahmen, und mit litauischen, russischen Liedern und einem selbst komponierten Tango bespielen.

Für den Abgang setzt die gelungen schräge Produktion einmal mehr auf die Nebelmaschine – und die geizt nicht mit Reizen. Alles Schall und Rauch? Nein. Selbst wenn WAU! gen Ende hin dann doch etwas an Länge gewinnt, und der eine oder andere Strich zur spannenden Straffung beigetragen hätte. Die surrealen Komponenten und die harmonische Kombination aus Schauspiel und Performance machen das aber zum Gros wieder wett. Ziemlich wau also.

 

Fotonachweis: Toihaus Theater

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