Nächte im Moulin Rouge – Schauspielhaus Salzburg

Farbenprächtiges Varieté für die Hosentasche

Das Schauspielhaus Salzburg feiert mit der Uraufführung von NÄCHTE IM MOULIN ROUGE eine bittersüße Ode an das legendäre Etablissement am Montmartre.

Man soll die Feste bekanntlich feiern, wie sie fallen. Nirgendwo tun sie das so häufig und intensiv wie im Moulin Rouge, der ersten Adresse am Place Blanche in Paris. Dabei sollen täglich rund  800 Flaschen Champagner sprudeln. „Wie dekadent“, mögen jetzt die einen ausrufen. Die haben das berühmte Varieté noch nie bei Tag gesehen. „Wie öde“, jammern also die anderen und trauern den prunkvollen Jahren der Belle Époque nach. Damals zur Jahrhundertwende – der vorvorige natürlich – , als der Kirchturm der Sacré-Coeur in Montmartre noch mit der roten Windmühle wenige Gehminuten weiter um Besucher*innen konkurrierte und die jauchzenden Sprünge der frivolen Tänzer*innen elegante Männer in Frack und Zylinder ins Moulin Rouge lockten, ja, das waren noch Zeiten… zumindest, wenn man den Erinnerungen des adeligen Künstlers Henri de Toulouse-Lautrec und der französischen Tänzerin Jane Avril Glauben schenken darf. Pierre La Mure tat genau das und kreierte aus dem aufregenden Potpourri einen Roman. Den wiederum inszenierte Robert Pienz als Uraufführung am Schauspielhaus Salzburg.

Zwei Außenseiter-Existenzen kompakt in ein opulentes Theaterstück gepackt und mit reichlich Pomp und Glamour garniert. Das klingt protzig, ist es aber nicht. Zumindest, wenn es sich auf die beschränkten Möglichkeiten von wenigen Bühnenmetern und eine solide Ausstattung reduziert. Dann nämlich wird das kreative Team noch keativer und produziert mit wenigen Mitteln ein wunderbares Hosentaschen-Varieté: NÄCHTE IM MOULIN ROUGE (Theaterfassung: Alina Spachidis, Kostüme: Elke Gattinger, Tanz und Choreografie: Jasmin Rituper, Dramaturgie: Alina Spachidis, Theresa Taudes, Licht: Marcel Busa, Maske: Gabriele Leitner).

Die Belle Époque des ausgehenden 19. Jahr- hunderts, sie lebt und liebt am Schauspielhaus Salzburg: Das Bühnenbild (Isabel Graf) hat sich ganz der nostalgisch-schwärmenden Zeitreise verschrieben und wahrt den erzählerischen Duktus, in dem sie sich auf der kompakten Drehbühne immerfort weiter dreht. Die biblischen fetten Jahre sind aber auch für das Moulin Rouge vorbei; die Kulisse des fröhlichen Treibens löst sich peu à peu mit den dramatischen Einzelschicksalen auf, bis nur noch die Schatten der großen Vergangenheit lose im Raum schweben und für einen süßen Nachgeschmack sorgen.

Nostalgischer erster Akt

Höchste Zeit also nostalgisch zu werden, solange sich noch die Gelegenheit bietet, in dieser gelungenen Moulin Rouge-Beschwörung. Hier treibt ein windiger Ex-Clown (Eric Lebeau – Salzburgs vermutlich berühmtester Chansonnier mit diesem unwiderstehlichen französischen Charisma) sein Unwesen oder verrenkt sich „La Goulue“, die Gefräßige, die aber eigentlich eine hyperbewegliche Schlangefrau ist (Jasmin Rituper – so wunderbar elegant und voller Körperspannung, dass es einer die eigenen Gleichgewichtsdefizite schamvoll in Erinnerung treibt). Das Nachtleben des einstmals verrufenen Künstlerviertels Montmartre ersteht in dutzenden Augenblicken und Momentaufnahmen zu neuem Leben, denen sich die Inszenierung mit viel Liebe zu noch mehr Detail widmet. Das verleiht den NÄCHTEN IM MOULIN ROUGE etwas Tableau vivant-artiges. Wie ein lebendes Gemälde entwirren sich die einzelnen kleinen Szenen und ergeben ein Stelldichein von Henri de Toulouse-Lautrecs bekanntesten Figuren. Der kleinwüchsige Künstler aus adeliger Familie hegte ein Faible für die dekadente Atmosphäre des Moulin Rouge, seine leichten Mädchen und Tänzerinnen: Es sind diese Figuren auf de Toulouse-Lautrecs Werbeplakaten, die das Pariser Varieté und den Maler berühmt machten. Simon Jaritz verleiht der eigentlich tragischen Figur Henris bei allem Sarkasmus und Ironie etwas zutiefst Menschliches, erstaunlich Leichtes, Heiteres und gerade dadurch Verletzliches. Er, der „hässliche Zwerg“, den die Häme und der Spott der Zeitgenossen ungeniert trifft, hat sich einen schützenden Panzer zugelegt. Es sind aber die Rückblicke in die Vergangenheit, die eine Innenschau ohne Erzähler ermöglichen. Entzückend der kindliche und noch gesunde Henri auf dem Pony, der voller Eifer und Tatendrang das elterliche Pferd hält, während ihm der standesbewusste Vater (Olaf Salzer) die Ahnen-Heldentaten erläutert und ihm das Adels-Einmaleins infiltriert. (Obendrein würde das herrlich ‚gepimpte‘ Steckenpferd jedes Kind vor Neid erblassen lassen – hey, das Ding fährt auf Rolle!) Später wird Henri von Fieberschüben heimgeholt, die ihn als verkrüppelten Erwachsenen zurücklassen. Die körperliche Behinderung zelebriert Simon Jaritz mit großartiger Beharrlichkeit und Konsequenz. Die Haltung der Füße ist dabei mit so viel akribischer Präzision verdreht, dass das durchaus schmerzhafte Vorstellungsabende erahnen lässt.

Goldenes Glück

Den zweiten (dunkel)roten Faden der Inszenierung bildet das Schicksal von Jane Avril (Kristina Kahlert). Das misshandelte Kind, das irgendwann in der Nervenheilanstalt landete und nur dank ihrer tänzerischen Begabung entlassen wird. Wieder so eine berührende Außenseiter-Figur, die in der goldenen Moulin Rouge-Ära zum strahlenden Stern am Bühnen-Firmament avancierte. Kristina Kahlert legt dabei viel Feingefühl auf die mannigfaltigen Nuancierungen der Tänzerin. Gleichzeitig verleiht sie ihr etwas zutiefst Sympathisch-Kindliches, wenn sie Henri – und jedem, der ihr gerade über den Weg läuft – strahlend vor Verliebtheit von ihrer neuesten männlichen Eroberung berichtet. Susanne Wende indes darf ihre maliziöse Seite entdecken: Voller Boshaftigkeit misshandelt sie als Elise Richepin die eigene Tochter, während sie wie von Sinnen immer wieder zur Seite spricht. Gelungen sind an der Stelle die Einsätze der Pique Dame, die zwar alles verrät, trotzdem aber nur auf Bildlichkeit setzt. Apropos gelungen! Das ist auch die Quadrille der schrägen Figuren, die das Moulin Rouge einst bevölkerten. Allen voran Valentin, der Knochenlose, den Olaf Salzer herrlich überdreht, mit Rockstar-Attitüde und abgehakten, überspitzten Bewegungen in exorbitant engen Hosen über die Bühne tanzen lässt. Unauffällig? Funktioniert irgendwie anders. Genau das ist das Wunderbare an Valentin, der als extrovertierter Publikumsmagnet auf dem berühmten Plakat von Henri de Toulouse-Lautrecs landete – und ja, die Ähnlichkeit von Kunstfigur und realem Schauspieler scheint erstaunlicherweise vorhanden. Als Highlight gelingt es Olaf Salzer – Zuschauerin möchte es ja kaum für möglich halten -, sich auch wieder aus seinen hautengen Beinkleidern zu schälen und in ein mindestens so straff anliegendes güldenes All-over-Kostüm zu zwängen. Als großartige Schlangenpersonifikation tänzelte er infolgedessen lasziv um den fantasierenden Henri. Dabei wird er auch von Henris Mutter Gräfin Adèle (Ulrike Arp) unterstützt. Sie rekapituliert die Heilwasserempfehlungen für den schwerkranken Sohn auf verzweifelt-staunende Weise, die auf Metaebene eine nicht zu entziehende ironische Beinote trägt.

Es lebe… die Prostitution?!

Charles Zidler gründete einst das Moulin Rouge – Marcus Marotte lässt ihn mit Megafon über die Bühne schreiten und wortstark für Ordnung sorgen; das heißt, wenn Zidler nicht gerade im Hintergrund kalkulierend über seinen Zahlen brütet. Die Figur erhält unter der wohlsortierten Profitmaske auffällig sympathische Züge. Wie überhaupt alle in diesem Varieté. Früher war also alles besser? Das ist ja eigentlich ein längst in die Jahre gekommenes Argument, aber in MOULIN ROUGE scheint es reale Züge anzunehmen. Die leichten Mädchen sind keine verzweifelten, verlorenen Existenzen: Frech, vorlaut und mit sichtlicher Freude am Verbotenen wird Susanne Wende als Berthe La Soure zur Puffmutter. Corinna Bauer stolziert miauend mit schwarzer Stoffkatze als Veró über die Bühne und Sophia Fischbacher bietet Henri in seinem Fiebertraum gutgelaunt und kostenlos ihre Dienste an. Währenddessen zieht Eric Lebeau Chansons singend in der musikalisch fein abgestimmten Begleitung von Fabio Buccafusco am Klavier seine Wege durch die Kulisse und sorgt für frankophiles Flair, tanzen die Mädchen und Valentin frivol Cancan (so viel Einsatz!) und verlacht Henri Rachou (schön despektierlich Antony Connor) den anderen Künstler für seine Leichte-Mädchen-Motive. Und Janes aktuelle Flamme (Frederic Soltow)? Die tanzt, schreibt oder singt – vive le Moulin Rouge!

 

Fotonachweis: Jan Friese

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