Max Claessen (c) maxclaessen.com

„Sie sollten es einfach so ins Netz stellen für alle, wenn sie schon immer so großspurig über Freiheit, Demokratie und Gleichberechtigung palavern, die Großverdiener.“

Letzten Herbst inszenierte er am Salzburger Schauspielhaus: Regisseur Max Claessen über die aktuellen Herausforderungen des Künstlerdaseins.

In der Mitte ein schwarzer Baum, der Boden mit weißem Gaffaband markiert, an der hinteren Bühnenwand sammelten sich die Schauspieler*innen wie unheilverheißende, stumme Zeugen. Max Claessens DOGVILLE Inszenierung am Schauspielhaus Salzburg sorgte im Herbst 2019 für eine düster-beklemmende Stimmung und führte an die Abgründe der menschlichen Moral. Ähnlich verstörend lässt sich auch das Gefühl an, das Covid19 und die reale Sichtbarwerdung der menschlichen Verrohung 2020 versprühen. Max Claessen ist längst zurück in Berlin, aber von Normalität ist die deutsche Bundeshauptstadt genauso meilenweit entfernt wie das beschauliche Salzburg.

„Ich finde es wirklich hart“, erklärt der Regisseur, „denn ich muss feststellen, ich bin einfach kein Schriftsteller und auch kein Maler, auch wenn ich beides kläglich versuche, ich bin Regisseur, ich brauche einen Bühne mit Spielern, mit Menschen, echten Menschen. Das Theater fehlt mir sehr, immer. Und den ganzen Tag Stücke lesen und sich was ausdenken, ist einfach nicht proben und zusammen erfinden. Ich brauche Menschen.“

Salzburger Luft

Bereits mit 8 Jahren sang Max Claessen im Kinderchor der Staatsoper Hannover und blieb hängen. Inzwischen inszeniert er, wo ihn die Engagements hintreiben. Egal ob Deutschland, Luxemburg oder Österreich. In Salzburg war Claessen bereits zweimal am Schauspielhaus engagiert (IM SITZEN LÄUFT ES SICH BESSER DAVON – 2016, DOGVILLE – 2019), die Vorzüge und Schattenseite sind ihm bestens bekannt. „Die Berge, die Luft, das Ayabad, die Salzach und die Leberkässemmel sind optimal, und die Kollegen am Schauspielhaus, die ich alle sehr in mein Herz geschlossen hab. Aber wenn’s regnet und duster wird, ist Salzburg duster und schlägt sich auf die Seele, das kann hart werden.“Max Claessen © Hajo Fröhlich

Keep calm and stay busy

Beschäftigung ist alles. Auch wenn der Künstler aktuell wie der Rest seiner Zunft zu Hause festsitzt, Langeweile will er erst gar nicht aufkommen lassen. „Ich mache Liegestütze, Musik oder koche, außerdem erfülle ich jeden Tag Musikwünsche und verschicke sie dann per Whatsapp.“

Dem Angebot der Theater, jetzt auf Zwang zu streamen, steht Max Claessen skeptisch gegenüber. „Mich irritiert der Aktionismus, das im Geschäft-bleiben-Wollen, das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom unser Branche, die Angst, nicht vorzukommen. Ich empfehle Ruhe und Kontemplation, den von der Kulturindustrie geschredderten Schauspielern vor allen in den mittleren und kleinen Häusern tut eine Atempause, denk ich, gut. Zum Streamen empfehle ich, dass die großen Theater ihre Archive dauerhaft zur Verfügung stellen sollten. Die Schaubühne hat jetzt BAKCHEN von Klaus Michael Grüber inszeniert gezeigt. Das hab ich leider verpasst. Sie sollten es einfach so ins Netz stellen für alle, wenn sie schon immer so großspurig über Freiheit, Demokratie und Gleichberechtigung palavern, die Großverdiener.“

„Breaking bad“ statt Theater

Einen Vorteil hat die Zwangspause dann doch. „Ich bin auch Netflixer und wir haben gerade erstmal „Breaking Bad“ gesehen. Das haben die meisten schon, ich hatte das noch nicht, ich fand´s großartig: SHAKESPEARE.“ Apropos Shakespeare. Zeit ist ja aktuell selten Mangelware. Wer zum Buch greifen möchte, aber noch unschlüssig ist: „Hamlet. Drei Schwestern. Wallenstein 1+2. … , alles von Martin McDonagh, Tracy Letts und ich wünsche meinem Spezi Oliver Kluck, dass er gesehen und gelesen und wieder gespielt wird.“

Ernst der Lage

Das Virus betrachtet der Künstler als existenz- und lebensbedrohend. „Ich wünsche meiner Mutter, die mit 78 ziemlich fit ist, und mir auch nicht, dass sie auf die Intensiv muss und sie niemand besuchen darf. Übrigens habe ich selbst auch keine Lust mit einer schweren Lungenentzündung irgendwo auf dem Gang zu liegen, deswegen sind auch die Maßnahmen in Ordnung. Ein Vorwurf ist der Politik zu machen. Das Abgeben der Gesundheitsversorgung und zig andere Dinge in private Hand rächt sich jetzt schwer. In Deutschland und Österreich geht’s uns da ja noch gold, woanders eben nicht. Die andere Seite der Medaille ist, dass diese Maßnahmen nicht lange haltbar sind. Vor allem in unserer Branche geht ja nichts ohne Menschenansammlung und ich würde gerne noch ein paar Stücke machen.“

Der Mensch im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit

Apropos Zukunft. „Als nächstes mache ich FRANKENSTEIN in der Fassung von Nick Dear. Das ist ein großer poetischer Stoff und stellt ziemlich grundsätzliche Fragen. Was ist Liebe? Was ist schön? Was ist das Leben? Was ist das alles, wenn ich es reproduzieren kann? Da geht es also gar nicht mehr um das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, sondern um den Menschen im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit.“ Aber auch nach Salzburg wird es den deutschen Regisseur vermutlich bald wieder verschlagen, sehr wahrscheinlich nächstes Frühjahr.

 

Fotonachweis: Hajo Fröhlich

Artikel zum Download in PDF-Format

 

Facebooktwitterredditpinterestlinkedinmailby feather

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert