Fly me to the moon
Wo bitte geht’s hier zur Unendlichkeit? – Das neue Toihaus Kinderstück IMMER nimmt märchenhaften Kurs auf große philosophische Fragen und verzaubert mit seinem poetisch-musikalischen Konzept.
‚Immer‘ ist ein ziemlich großes Wort. Es ist sogar so groß, dass es das kleine unscheinbare Adverb locker mit der Unendlichkeit aufnehmen kann. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum aus ‚Immer‘ schließlich ‚immer‘ wurde – oder aus dem Abendstück am Toihaus Theater eines für die Allerjüngsten: ‚immer‘ eben.
Das Konzept ähnelt dem für die Großen: Wie definiert sich die Unendlichkeit? Auf einer poetisch märchenhaften Reise werden die Jüngsten von den drei IMMER-versierten Schauspielern*in abgeholt. Vor geschrumpften Tischchen mit kleinen Kaffeetassen sitzen Yoko Yagihara, Yorgos Pervolarakis, Andreas Simma und haben es sich wohnlich eingerichtet. Darum herum das hübsch drapierte Publikum – so könnte es sich eigentlich aushalten lassen, aber da ist ja noch die Sache mit der Unendlichkeit, die über der bunt magischen Inszenierung schwebt. Deshalb zieht der eine die alte Taschenuhr auf und beginnen alle wie auf Kommando zu ticken – die Menschen, nicht die Uhr.
Langsam erwacht das Tableau vivant zu Leben. Vorsichtig tasten sich die drei Künstler*in an die immense Materie heran. Stühle werden so schnell gewechselt wie Sprachen und Instrumente. Japanische, griechische, französische oder deutsche Sätze und Dialoge fliegen in Kreisen durch die Luft und landen, wo es ihnen gerade gefällt. Die unendliche Klangkollage mischt sich mit den sanften und lauten Tönen, die die Künstler*in ihren Instrumenten entlocken – Gitarre, Klavier, Vibraphon, Ziehharmonika und Ukulele stimmen fröhlich in den unendlichen Reigen ein. Die raschen Tempi stecken an und hie und da ist ein kleines Fußpaar zu vernehmen, das euphorisch den Takt, nun ja, trampelt.
Eine märchenhafte, äonenweite Chiffre bildet der Sand, der aus der gekippten Teekanne vom Bühnenhimmel treffsicher in die einzelne Kaffeetasse rieselt. Die füllt sich so lange, bis sie schließlich überläuft. Eine Ahnung von der unendlichen Größe des ‚immer’s erhält das Publikum aber auch, wenn die Darsteller*in zu zählen beginnen: In verschiedenen Sprachen fallen die unterschiedlichen Zahlen. Der eine versucht, den Sand zu erfassen, und malt die Nummern auf den Boden, bevor er sich selbst gleich dazu drapiert. Die andere lässt das Telefon läuten und antwortet gut gelaunt auf Japanisch. Unvermutet regnet es Rosen vom Bühnenhimmel oder entschwebt ein silberner Schmetterling elegant der Kuckucksuhr. Es sind magische Augenblicke, die auch die Kinderversion von IMMER kreiert.
Wo endet der Regenbogen? Warum sind Orangen orange und ist der Himmel blau? IMMER nähert sich zwar den Fragen, aber die Antworten tanzen im Kreis. Viele Briefe kulminieren in einen winzig kleinen: „A rose is a rose is a rose“. Lieber doch beim Bildlichen verweilen. Die Jüngsten hängen begeistert an der Hutkrempe, die immer wieder vor A. Simma Reißaus nimmt. Der Hut will sich einfach nicht fangen lassen, deshalb hängt ihn Y. Yagihara kurzerhand an eine Leine. Doch das kann so einen Hut natürlich nicht auf Dauer festhalten und alsbald zieht er nach oben. Einmal gefangen, lässt er sich auch nicht von jedem aufsetzen. Als ihn Y. Pervolarakis heimlich klaut, beginnt die Kopfbedeckung gefährlich zu knurren. Es sind amüsante Momente, die sich nahtlos in die magische Reise durch die Unendlichkeit einfügen.
IMMER ist ein Vorschlag – eine Variante sich der Unendlichkeit spielerisch zu nähern und sie fantasievoll greifbar zu machen. Gleichzeitig kreiert die Inszenierung eine zauberhafte Parallelwelt, in der Groß und Klein gerne noch ein bisschen länger verweilen könnte.
Fotonachweis: Ela Grieshaber
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