WER HAT MEINEN VATER UMGEBRACHT / DER VATER: Th. Helm

Wer hat meinen Vater umgebracht | Der Vater – Schauspielhaus Salzburg

Two of a kind.

Französische Literatur kann mehr als nur Kalauer und leichte Komödien. Mit WER HAT MEINEN VATER UMGEBRACHT | DER VATER inszenierte Gerhard Willert einen starken und facettenreichen Monologabend.

Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr. Fragt Tantalos oder Hildebrand, die und sehr viele andere können ein (sprichwörtliches) Lied davon singen. Noch schwerer wiegt das Los, wenn die Vaterfigur paradigmatisch die Last der  Welt auf den Schultern trägt. Gut, vielleicht nicht die der ganzen, aber immerhin derer, die in der französischen Nation am Rande stehen. Die von der Gesellschaft abgehängten. Links und recht sind sie zu finden, die himmelschreiende Ungerechtigkeit eint sie alle. WER HAT MEINEN VATER UMGEBRACHT / DER VATER: Th. HelmDie ist es vermutlich auch, die Gerhard Willert dazu bewog, mit WER HAT MEINEN VATER UMGEBRACHT | DER VATER zwei Texte über Väter in einen Abend zu packen (Dramaturgie: Theresa Taudes).

In (mehr oder weniger) aller Plot-Kürze

Jung, ambitioniert und wortgewaltig. Édouard Louis gilt als der französische Jungstar und musste noch nicht mal ein Drama schreiben, um auf die Bühne gebracht zu werden. Als Vorlage dient WER HAT MEINEN VATER UMGEBRACHT, eine autobiographische Erzählung. Eine wütende Anklage, die die französische Politik mit Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy, François Hollande und Emmanuel Macron in die Pflicht nimmt. Ihnen wirft Louis vor, seinen Vater zugrunde gerichtet zu haben. Sein Text wird als Manifest der Gelbwesten gehandelt. Es kreist um Proletariat, Armut, Homophobie und Rassismus und ist eine traurige Hommage mit versöhnlichen Klängen Richtung gestrenger Vaterfigur.

Stéphanie Chaillous DER VATER rückt den enttäuschten Mann in den Fokus. Der Familienvater, der seit seiner Kindheit darauf konditioniert ist, Bauer zu werden. Das Idyll, das ihm seine Eltern vorleben. Kaum erwachsen, erwirbt er einen Hof, gründet seine eigene Familie. Alles könnte so schön sein, doch dann kommen die siebziger Jahre und mit ihnen das Bauernsterben. Der paradigmatische Kleinbauer steht vor den Scherben seiner Existenz. In dieser Zeit erfährt er die völlige Entwertung des Individuums und erkennt die Hässlichkeit des Menschen.

Hörspiel und Theater

Zwei Stücke in einen Monolog zu packen, bedeutet ein straffes Programm. Das könnte rasch an die Müdigkeitsgrenze führen. Tut es aber nicht. Denn auch wenn WER HAT MEINEN VATER UMGEBRACHT gefühlt gerade Land auf, Land ab gespielt wird, Gerhard Willert wählt einen anderen, innovativen Zugang. WER HAT MEINEN VATER UMGEBRACHT / DER VATER: Th. HelmEr inszeniert ein Hörspiel im Theater und greift damit gleichzeitig die Romanstruktur Édouard Louis‘ auf.

Sein Text ist eine Rede an das väterliche Du. Das ist auf der Bühne in Form von Theo Helm präsent. Der Schauspieler agiert aber tatsächlich nur als Mime im wörtlichen Sinne. Er ist der Vater, der in diesem Moment den Text des Sohnes liest. Während er also auf der kleinen Bühnenfläche auf und ab humpelt, in seinen Möglichkeiten physisch durch die lädierte Wirbelsäule begrenzt, psychisch durch die Muster seiner sozialen Provenienz, erklingt die Stimme des Sohns aus dem Off, die den Text vorträgt (Bastian Dulisch). Das Publikum profitiert von dieser spannenden Sichtweise.

Am Anfang war fast nichts

Der Schauspieler akzentuiert sein Spiel mit gestischen Feinheiten. Er kommt fast nackt auf die Bühne und belädt sich vor den Augen des Publikums mit dieser Rolle, deren Scheitern stellvertretend für das von vielen steht. Édouard Louis prägte den Begriff der „konfrontativen Literatur“. Konfrontativ ist WER HAT MEINEN VATER UMGEBRACHT mit Sicherheit. Die Vorwürfe des Sohnes wiegen schwer und erklingen aus dem Off wie eine göttliche Stimme. Die Hände der Vaterfigur, die das Buch des Sohnes halten, zittern persistent. Immer wieder garniert Theo Helm seine Figurenführung mit kleinen proletarischen Ticks. Er kratzt sich im Schritt oder unter dem Hemd. Auch wenn er den homophoben, rassistischen Vater verkörpert, lässt Helm seiner Figur etwas Rührendes angedeihen, das durch die versöhnlichen Worte des Sohnes und die eigene späte Einsicht verstärkt wird.

Drama Weltverlust

Im zweiten Teil des Stücks ergreift der Vater selbst das Wort. Das ist die große Stunde von Stéphanie Chaillous Text. Theo Helm wirft sämtliche körperliche Leiden über Bord und setzt das individuelle Scheitern in Analogie mit dem großen Drama des Weltverlusts. Tatsächlich ist dieser Kleinbauer von Wut beseelt. WER HAT MEINEN VATER UMGEBRACHT / DER VATER: Th. HelmEr wird vom Unrecht der anderen erdrückt, die sein Leben mit beiläufiger Niedertracht beurteilen. Theo Helm setzt zu einer Wutrede an, die genau davor strotzt, Wut.

Auch das Bühnenbild hat sich gewandelt. Von weiß verhülltem Dreieck zur Grasfläche. Das Bühnenbild scheint sich an der Inszenierung von Julien Gosselin 2018 in Paris zu orientieren. Gleich wie damals setzt auch Alexandra Pitz (Ausstattung) auf eine grasbewachsene Fläche. Statt quadratischem Podest mit Lichtpaneelen begrenzt, greift sie zum dreieckigen Pendant. Das Feld des Bauern wird im Hintergrund mit Animation komplettiert. Die scheint durch eine Zeitrafferfunktion immer wieder etwas abgehackt und wirkt redundant. Nicht überdrüssig hingegen die elektronische Musik, die immer wieder temporeich die Dramatik unterstützt (Musik: Wolfgang Dorninger, Licht: Marcel Busá).

Tempo, Tempo

WER HAT MEINEN VATER UMGEBRACHT | DER VATER ist unbequeme Kost, die von Theo Helm eindrücklich dargeboten wird. Am Ende entledigt sich der Vater einmal mehr seiner Kleidung. Eine elegante Verbindung zwischen den Stücken, die die Vaterrolle ad acta legt. Theo Helm geht ab. Gleichzeitig endet die Inszenierung auch mit dem fehlenden Fragezeichen aus dem Titel von Louis‘ Roman. „glücklich“ verweilt lose schwebend im Raum.

 

Fotonachweis: Nick Mangafas

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