Lumpazivagabundus

Lumpazivagabundus geht um.

Mit einer Nestroy Inszenierung feiert Regisseur Klaus Gmeiner seinen Abschied von 30 Jahren Salzburger Straßentheater.

Kurz bevor wir den Lehener Park erreichen, bemerken wir ein auffällig großes Menschenaufkommen. Da wir keine Ahnung haben, wo genau sich unser Ziel eigentlich befindet, schließen wir uns den emsig in eine Richtung strebenden Menschlein an und tatsächlich werden wir schon bald fündig. Unterhalb eines kleinen Hügels sehen wir bereits den Thespiskarren mit den vorgespannten Brauereirössern, die, wie Freundin Freundin K. treffend bemerkt, so schön nach Kleiner Onkel aussehen: Das Salzburger Straßentheater.

1970 wurden die Pferde erstmals mit Hilfe der Salzburger Kulturvereinigung vor den Theaterkarren gespannt. Das geschieht auf Initiative von Oscar Fritz Schuh und seiner Vision. Gerade zu den Salzburger Festspielen sollte „Theater für jedermann“ möglich sein. (Ja, ja und ja!!). Orientiert an der Tradition der Wanderbühnen und der Commedia dell’arte zieht deshalb das bepferdete Miniatur-Theaterhaus während der Sommermonate durch Stadt und Umland und hält an diversen Stationen. Mit im Gepäck großartige Stücke und vergnügliche Momente. Und das alles bei freiem Eintritt. Spenden werden allerdings dankend angenommen und ermöglichen gemeinsam mit anderen Partnern der Salzburger Kulturvereinigung das Bestehen des gelungenen Programms.

Obwohl wir ungefähr 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn eintrudeln und die Bühnenleute noch mit den letzten Handgriffen an der bunten und wandelbaren Kulisse beschäftigt sind (Bühne: Bernd Dieter Müller, Regie: Klaus Gmeiner), ist der Ansturm bereits beachtlich. Jedermann versammelt sich auf dem kleinen Hügel vor der Wanderbühne; die Älteren auf den Stühlen ganz vorne (wie lange sitzen die da eigentlich schon?), die Jüngeren und die Zuspätgekommenen weiter hinten. Schnell ein Platz ergattert, ehe auch der noch durch eine hastig ausgebreitete Picknickdecke vor der Nase entschwindet. Fröhliche Stimmung herrscht im bereits von Volksbühnenvorfreude geprägten Publikum. Das zieht auch die Zufallsgäste an, die stehenbleiben und dem munteren Treiben zusehen. Kinder laufen vom angrenzenden Spielplatz herbei und sammeln sich für kurze Zeit vor der Bühne. Nur der junge Mann, der vermutlich einmal zu viel mit illegalen Substanzen hantiert haben dürfte, stört die Aufführung marginal durch seine vokalen Einwürfe. Das heißt, so lange, bis sich seiner schließlich Sanitäter annehmen und ihn unauffällig aus dem Publikum manövrieren.

Leicht gekürzt und adaptiert erwacht LUMPAZIVAGABUNDUS auf der kleinen, sehr kleinen, Wanderbühne des Salzburger Straßentheaters zu neuem Leben. Aus Ermangelung an Feen wettet deshalb auch der böse Geist Lumpazivagabundus mit dem Publikum und wird dabei durchaus philosophisch. Macht Geld glücklich? Für sein kleines Experiment treibt er drei fragwürdige Gesellen auf: den unglücklich verliebten Tischler Leim, den versoffenen Schuster Knieriem und den leichtlebige Schneider Zwirn. Lumpazivagabundus will vorführen, dass sie trotz Geldsegen nicht von ihrem lockeren Lebenswandel lassen werden. Das unglückliche Kleeblatt übernachtet gemeinsam in einer Wirtsstube und alle träumen in dieser Nacht den gleichen Traum, der ihnen vier Zahlen verrät. Kurz darauf kaufen sie das entsprechende Lotterielos und werden reich. Nach einem Jahr wollen sie sich wiedertreffen. Ob der Reichtum sie verändern wird?

Lumpazivagabundus (Géza Terner) ist hartnäckig. Um seine These zu verifizieren, schleicht er sich hinterrücks in allen möglichen Formen und Verkleidungen an seine Opfer heran und führt sie mephistophelisch in Versuchung. Geschickt unterwandert der böse Geist die Handlungsebenen, um abwechselnd im Spiel auf der Bühne und in der Rahmenhandlung sein Unwesen zu treiben. Mit keinesfalls vollem Erfolg. Der ohnehin solide Tischler Leim (Peter Buchta) entgleitet ihm und zieht die Bürgerlichkeit dem Tunichtgut-Dasein vor. Das erstaunt keinesfalls. Alles andere wäre ohnedies deprimierend – und wir befinden uns schließlich in einer österreichischen Komödie (ja, wäre es eine russische, dann…). Mehr Glück hat der böse Geist beim herrlich extrovertierten und eitlen Schneider Zwirn (Leo Braune). Zwirn fällt auf. Der eher nicht ganz so fleißige Schneider rutscht durch sein besonders empathisches Schauspiel in den Vordergrund und erfreut mit amoralischen Tendenzen, von denen er nicht lassen kann. Lumpazivagabundus hat leichtes Spiel; als er drei italienische Damen auf den eitlen Gesellen loslässt, die eigentlich aus dem einfachen Wiener Milieu stammen (Christine Kain, Kerstin Raunig, Maria Astl), ist das Publikum entzückt. Und zu guter Letzt ist da noch der vermutlich sympathischste Alkoholiker: Schuster Knieriem (Peter Josch). Selten um eine Antwort verlegen, hält auch Knieriem stur am exzessiven Lebensstil fest.

„Es ist nicht der Müh‘ wert wegen der kurzen Zeit. In ein‘ Jahr kommt der Komet, nachher geht eh‘ die Welt z’grund.“

Soviel Pessimismus würde unter normalen Umständen schwer zu ertragen sein. Nicht bei Nestroy und noch weniger bei dem durchaus charmanten, immer über den Durst trinkenden Knieriem. Der erfreut beim „Kometenlied“ mit aktualisierten, an die aktuellen Verhältnisse adaptierten Strophen. Emsig stimmt das Publikum in den (nun ja, nicht unbedingt hochkomplexen) Refrain ein („(…) lang, lang, lang“). Bisweilen an Gefühl und Empathie scheint es allerdings dem Vortragenden selbst zu mangeln. Die Interpretation des „Kometenliedes“ lässt etwas an Leidenschaft missen. Vielleicht fiel diese aber auch einfach nur dem Wind zum Opfer. Der ist zwar herrlich kühlend, scheint aber als gemeiner Stimmenfänger tückisch auf der Lauer zu liegen. Die DarstellerInnen auf der Volksbühne haben es akustisch tatsächlich keinesfalls leicht; so ganz ohne Elektronik spielen sie konsequent und ausdauernd gegen Natur und Kinderlärm an (den durchgeknallten Typen vom ersten Teil nicht zu vergessen).
Akzente gibt es an diesem Abend übrigens trotzdem viele zu bewundern. Nur das mit dem Jiddischen könnte noch etwas intensiviert und präzesiert werden, der „französelt“ nämlich doch sehr.

Viel zu schnell versammeln sich die DarstellerInnen auf der Bühne zum Schlussapplaus. Was gefühlt höchstens eine Stunde war, entpuppt sich bei näherem Betrachten dann doch als gepflegte 90 Minuten. Wer hätte das gedacht? Schöner ist ein Sommerabend tatsächlich kaum zu verbringen, als unter freiem Himmel, bei warmen Temperaturen und mit ganz viel Theater (und ein bisschen Proviant).

NB: Nur noch wenige Tage wird getourt. Hingehen, falls es sich ausgeht. Zum Terminplan.

Fotomaterial: (c) Wolfgang Lienbacher // Salzburger Kulturvereinigung  (nur der Handyschnappschuss selbstverständlich nicht 😉 )

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