Tausche Couch gegen Klappstuhl auf dem Kapitelplatz: Le Nozze di Figaro.
Um zehn Minuten vor 20:00 Uhr erreiche ich den Kapitelplatz und bin doch beinahe zu spät für die Festspielnächte auf der großen Leinwand. Auf den ersten Blick scheinen tatsächlich bereits alle Sitzplätze vergeben (habe ich etwas verpasst?). Bei näherer Betrachtung der Menschenmasse, ich schlendere die Reihen auf und ab, entdecke ich schließlich noch einen freien Stuhl. Phew. Und plötzlich bin ich erleichtert, diesmal alleine gekommen zu sein. Eingequetscht zwischen einer elegant gekleideten älteren Dame, die die laut schwatzenden Pongauerinnen hinter uns immer wieder misstrauisch beäugt, und einer jungen französischen Familie mit sechs oder sieben Kindern (ich bin fleißig am Zählen und Rechnen), freue ich mich auf den Abend. Zumindest kalt wird mir in den nächsten 180 Minuten keinesfalls, zu nah klebt die ältere Dame auf mir und kollidiert ihre linke Körperhälfte bei jeder Bewegung mit meiner rechten.
LE NOZZE DI FIGARO. – Die Oper, die ich schon alleine wegen ihrer Zugehörigkeit mag: Opera buffa. Ich gebe zu, ich hege ein Faible für den Buffo in den Stücken. Buffo, das ist der heitere Part, der lustige Side-Kick zum Helden. Deshalb auch meine simple Schlussfolgerung, die mich zur Figaros Hochzeit führt: Opera buffa trägt den buffo im Namen und ist sicher ebenso vergnüglich. Alles klar?!
Das Wirrwarr bei Mozarts NOZZE DI FIGARO ist groß. Figaro will Susanna heiraten und Susanna Figaro, aber der liebestolle Graf Almaviva gefährdet das Unterfangen. Er will seinerseits nicht auf die erste Nacht mit Susanna, der Zofe seiner Frau, verzichten. Skandalös, nachdem er doch bereits anklingen ließ, das fragwürdige Gesetz aus dem Feudalismus außer Kraft zu setzen. Die Gräfin derweil grämt sich ob des untreuen Gemahls und Cherubino, der jungenhafte Page, liebt überhaupt alle Frauen. Dann ist da noch die ziemlich ältere Marcellina, die das Recht auf Figaro einfordert und mit Bartolo gegen Susanna und Figaro vor Gericht zieht.
Verworrener geht immer. – Im überdimensionalen Puppenhaus entfaltet sich wohlgeordnet chaotisch das humoreske Treiben rund um die Hochzeitsfeierlichkeiten von Figaro und Susanna (Bühne: Alex Eales). Regisseur Sven-Eric Bechtolf hat die Handlung optisch in die Anfänge des 20. Jahrhunderts gelegt (Kostüme: Mark Bouman) und possierlich besetzt. Martina Janková ist eine fabelhafte Susanna, die mit diebischer Hingabe den Grafen hinters Licht führt. Im schelmisch wie stattlichen Figaro (Adam Plachetka), dem es keinesfalls an Selbstbewusstsein mangelt, hat sie den perfekten Kompagnon gefunden. Cherubino (Margarita Gritskova) singt sich derweil allerliebst in Liebesekstase, Conte Almaviva (Luca Pisaroni) sprüht ganz italienisches Temperament vor Leidenschaft und Eifersucht und Marcellina (Ann Murray) lechzt nach Figaro. Die Irrungen und Wirrungen sind grandios; immer wenn das Höchstmaß an Konfusion erreicht zu sein scheint, legt die Opera buffa noch ein kleines Schäufelchen nach.
S.E. Bechtolfs Interpretation von NOZZE DI FIGARO eignet sich exzellent für die international besuchte Festspielnacht-Leinwand. Die beiden kleinen asiatischen Touristenmädchen in der zweiten Reihe, die die deutschen Untertitel vermutlich kaum zu dechiffrieren vermögen (falls sie überhaupt bereits des Lesens mächtig sind), biegen sich wie die einheimischen BesucherInnen an genau den richtigen Stellen vor Lachen. Sie halten auch tatsächlich durch, alle 4 Akte. Beeindruckend. Für die erwachsenen BesucherInnen verfliegt die Zeit ohnedies im Nu‘, zumindest für die hier Schreibende. So kurzweilig und schön kann Oper sein, da lohnt es sich auch, die bequeme Couch mit der Plastikbestuhlung am Kapitelplatz zu tauschen.
Fotonachweis: Salzburger Festspiele / Ruth Walz
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