Emilia Galotti – Schauspielhaus Salzburg

Viva la Aufklärung

Wenn sich Werther erschießt, liegt „Emilia Galotti“ aufgeschlagen auf seinem Tisch: Auch am Schauspielhaus Salzburg setzt Irmgard Lübke für Lessings bürgerliches Trauerspiel auf Emotionen, Emotionen, ach ja, und natürlich Emotionen.

Er ist jung, reich, privilegiert und unterschreibt Todesurteile wie andere ihre wöchentliche Einkaufsliste. Würde Hettore Gonzaga, der Prinz von Guastalla, Lessings bürgerlichem Trauerspiel entspringen und als Wiedergänger in der Gegenwart anheuern, dann wäre er vermutlich Ehrenmitglied bei den „Rich Kids“ – mit goldener Kreditkarte vom Papi und Instagram-Channel voller entbehrlicher Luxus-Schnappschüsse. Zum Glück besitzt das Figuren-Ensemble aus Lessings Drama diese Superkraft nur szenisch. Denn auf der Bühne ist EMILIA GALOTTI seit seiner Uraufführung 1772 ein häufiger, sehr häufiger Gast.

In aller Plot-Kürze

Der Prinz ist verliebt! Das könnte Anlass zur Freude sein, wäre seine Angebetete nicht die bürgerliche Emilia Galotti, die just an diesem Tag den Grafen Appiani heiraten soll. Als der Prinz von Guastalla von der Verbindung erfährt, schickt er seinen Kammerherrn Marinelli ins Rennen, um die Ehe zu verhindern – mit fatalen Konsequenzen.

Bühnenraum zu befüllen

Mit „Emilia Galotti“ prangerte Gotthold Ephraim Lessing (was für ein Mittelname ) äußerst effektiv den Absolutismus und die Dominanz des Adels an. Er forderte ein neues Selbstbewusstsein des Bürgertums, Leidenschaft und Empfindsamkeit, und brach dafür gerne mit den französischen Idealen. Diese emotionale Interpretationsweise des Lessing’schen Klassikers wählte auch Irmgard Lübke als Schwerpunkt und kompaktes Setting für ihre Inszenierung. Dafür reduzierte Andrea Kuprian (Ausstattung) das Bühnenbild auf ein Mindestmaß. Nichts lenkt am Schauspielhaus vom eigentlichen Geschehen ab, au contraire. Ein Viereck aus Halogenleuchten, das vom Schnürboden baumelt, strahlt jeden Winkel unbarmherzig aus und rückt mit grellem Licht die Aufmerksamkeit uneingeschränkt auf die Schauspieler*innen (Licht: Marcel Busa). Ergänzt wird das merkwürdig gefühlsneutrale Arrangement mit dünnen Vorhängen und feudal-klerikaler Bestuhlung. Keine Frage, hier wurde jegliche unnötige Ablenkung entfernt und gerade durch dieses puristische Ambiente das Schauspiel intensiviert.

Der kleine Werther

Die Gefühle stehen bei Irmgard Lübkes Inszenierung an vorderster Bühnenfront. Simon Jaritz tritt in die Rolle des verwöhnten Prinzen. Was Gonzaga will, bekommt Gonzaga – auch wenn es die Verlobte eines anderen ist. Grund genug also, um dem verzogenen Adelsspross zu zürnen. Gleichzeitig ist dieser Prinz unglaublich emotional und verausgabt sich ganz in fremden bürgerlich-leidenschaftlichen Affekten. Gonzaga redet sich in eine Ekstase, die schon an Liebestollheit grenzt. Es fällt schwer, ihm zu grollen. Als sein Schauspieler dann auch noch in reale Tränen ausbricht, ist der Vorsatz endgültig dahin. Eigentlich ist ja an der ganzen Misere ohnehin nur das System Schuld – ein Prosit auf die Aufklärung! Im Stück freilich ist das kein Trost. Denn Emilia Galotti ahnt als dramatisches Opfer nichts von diesem Diskurs: Kristina Kahlert gestaltet sie jung, naiv und mit dem Hauch einer Befürchtung, die von Anfang an wie ein Damoklesschwert über ihrem Kopf baumelt. Das wird nicht nur am Kostüm der Figur deutlich – die mit weißem Kleid und Schleier als exemplarische Inkarnation der bürgerlichen Unschuld auftritt, wäre da bloß nicht der breite schwarze Gürtel als Signum des drohenden Unheils. Emilia weiß um ihre sinnliche Seite, die sie mühsam zu unterdrücken sucht. Deutlich wird dieser innerliche Kampf in der Kirchen-Szene: Immer wieder kommt sie den Avancen des Prinzen entgegen, nur um sich einmal mehr panisch von ihm zu distanzieren. Auch später wird sie sich in kleinen Gesten immer wieder selbst am Körper entlang streichen oder – in selten schwachen Augenblicken – mit strahlenden Augen von der Bewunderung des adeligen Verfolgers berichten. Diese Ausbrüche sind dicht gefolgt von selbst zugefügten Repressalien, mentalen Selbstgeißelungen. Emilias Mutter Claudia (Susanne Wende) tendiert in eine ähnliche Richtung; als adrette Mittelschichtfrau stimmt sie ausgelassen, freudig in das Gekicher der Tochter ein, nur um ihr später besorgten Blickes und wütender Zunge zur Hilfe zu eilen.

Große Stunden und zornige Ausbrüche

Zugegeben, bei allen Stärken, sobald sich Höfling Marinelli (Bülent Özdil) ins Geschehen einmischt, wird EMILIA GALOTTI phasenweise zur One-Man-Show. Vermutlich liegt das auch an dem Glück, das die Figur in der Textstellen-Lotterie hatte; denn der intrigante Kammerherr darf mit geballtem Wortwitz und pointiertem Sarkusmus nur so um sich werfen. Bülent Özdil greift diese  Chance freudig auf und liefert sich mit seinen Gegenübern nicht nur humorige Wortduelle, sondern serviert seine Argumente und Intrigen mit entsprechend amüsanter Gestik, deren unterschiedliche Masken er je nach Fasson auch im Sekundentakt zu wechseln vermag. Das janusgesichtige Wesen Marinellis beherrscht er mit Bravour und führt gut gelaunt in den Untergang. Dort erwartet ihn bereits die zornige Ex-Geliebte des Prinzen, Gräfin Orsina (Christiane Warnecke). Gefährlich langsam und leise tastet sie sich an die Absage Gonzagas heran und kombiniert messerscharf. Dann aber wird Orsina zur scharfzüngigen Furie, die erst schweigt, als sie das Misstrauen bei Odoardo Galotti wecken konnte (Harald Fröhlich als fast genauso zorniger Vater in römischer Tradition – die Verginia-Legende verpflichtet). Der trauert jetzt nicht nur um seinen Schwiegersohn in spe (Frederic Soltow als integrer – ‚Gott hab ihn selig‘ – Graf Appiani), sondern auch um die einzige Tochter – übrigens mit erstaunlich unblutigem Messermord (vielleicht, um das weiße Walle-Kleid zu schonen?!).

Zeitreise

Packend, emotional und ambivalent, das ist EMILIA GALOTTI am Schauspielhaus Salzburg. Bei aller Euphorie bleibt dann trotzdem ein kleiner nagender Gedanke; fast scheint es, als habe sich Irmgard Lübkes Inszenierung merkwürdig bequem im Tradierten eingerichtet. Lessings Adels vs. Bürgertum-Diskurs ist nach wie vor omnipräsent – moderne Feineinstellungen wurden aber nur in sanften, sehr sanften Ziselierungen vorgenommen. Dabei wurde auf Weichzeichnung gesetzt und sich nicht mit Politischem bekleckert. Das, so drängt sich an dieser Stelle auf, scheint wie eine verschenkte Option. Die allerdings sorgt für ein kleines Aufklärungs-Revival und das ist schließlich immer eine Zeitreise wert.

 

Fotonachweis: Jan Friese

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