BASH | Daria Ivanova | c Piet Six

Bash – Stücke der letzten Tage | theater.direkt und ARGEkultur

Die Götter müssen verrückt sein. In Verena Holztrattners Inszenierung BASH – Stücke der letzten Tage von Neil LaBute trifft die Wucht griechischer Tragödie auf Otto Normal. Beunruhigende, aufwühlende Bühnenmomente und großartiges Schauspiel.

Wir sind Zwerge. Zwerge auf den Schultern von Riesen. Sagte Bernhard von Chartres. Die Moderne profitiert von der Kultur vergangener Tage. Seit der Antike wiederholen sich die Sujets ja auch immer wieder. Was aber passiert, wenn die Zwerge in die Rollen der Riesen schlüpfen? Ein ziemlich unappetitliches Chaos. Weil, seien wir ehrlich, so richtig heroisch waren noch nicht einmal die griechischen Helden. Mord und Totschlag, Betrug und Missbrauch regierten den Olymp. Am wildesten trieben es freilich die Götter und ihre semi erhabenen Anverwandten.

Trotzdem, Mensch hätte halt auch gerne ein Stück vom Kuchen. Der amerikanische Dramatiker, Autor und Regisseur Neil LaBute erfüllte jetzt rein hypothetisch diesen Wunsch. Er lässt die scheinbar Unfehlbaren mittels dreier kurzer Monologe grandios ins Defizitäre kippen und aggressiv scheitern. Verena Holztrattner (Regie) greift dieses Thema großartig auf (Dramaturgie & Produktionsleitung: Michael Kolnberger). Sie führt mit ihrer Inszenierung von BASH – STÜCKE DER LETZTEN TAGE die menschlichen Moralvorstellungen auf so bedrückend wie grausame Weise ad absurdum, dass einer buchstäblich der Atem stockt. Das hat dann doch schon direkt wieder etwas exorbitant Heroisches. Wilder könnten es auch die Götter und Helden der Antike kaum treiben.

Familienbande

Die scheinbar perfekten Menschen werden auf einer erhöhten Drehbühne präsentiert (Raum und Kostüme: Arthur Zgubic, Bühnenkonstruktion und Bau: Herbert und Niki Wiesauer). Die mutet bisweilen an ein gigantisches Präsentierteller an und scheint in der Tat ziemlich passend. Dort stehen sie und erzählen aufgedreht aus ihrem Leben. Der Junge Mann (großartig Jurij Diez) in „Iphigenie in Orem“ als Paradeexemplar eines erfolgreichen Geschäftsmannes. In der Bar will er sein Gewissen erleichtern.

Der Monolog plätschert heiter vor sich hin. Immer wieder baut der Junge Mann Pointen ein; er weiß um sein Charisma, schöpft es aus. Gönnerhaft lächelt er ins Publikum oder echauffiert sich über die Zweifel des Polizisten am plötzlichen Kindstod seiner Tochter. Einziges Indiz, dass hier vielleicht doch etwas nicht ganz richtig sein könnte: Eine Brille wurde noch nie so exzessiv gereinigt wie an diesem Abend. Immer wieder greift der Junge Mann zum Brillenputztuch, bis der Geste etwas Manisches anhaftet. Da ist auch der Fluch von Iphigenies Familie nicht mehr weit. Die kleine Tochter wurde vom ehrgeizigen Vater geopfert, was Diez gekonnt einfängt und von nonchalant bis intensiv präsentiert. Großartig zu bereuen scheint der Vater nicht. Career first!

Mormonen auf Ausflug: BASH – Stücke der letzten Tage

In „Eine Meute von Heiligen“, dem zweiten Monolog, ist es die Gruppe jugendlicher Mormonen, die auf einem Ausflug nach New York einen Homosexuellen verprügelt. Ob er nach der Attacke noch lebt, bleibt offen. Nicht im Dunkeln hingegen der Hass des Protagonisten. Fröhlich und heiter turtelt John (sehr gelungen Jurij Diez) mit Freundin Sue (wunderbar Daria Ivanova) zum sechsjährigen Jubiläum. Süß der Anblick, wenn sich die beiden kichernd kindlich an ihren Ausflug nach New York erinnern. Einmal mehr spielt BASH mit gewohnten Moralvorstellungen und invertiert sie gnadenlos. Während die einen in Erinnerungen schwelgen, verliebt kichern und niedlich Händchen halten, schlägt die Stimmung des anderen ins radikale Gegenteil.

Das Perfide daran, der Monolog erfährt eine Zweiteilung. Jetzt redet nur noch John, während Sue im Hotelzimmer schläft. Auf der Bühne sitzt sie am Rande und lässt die Beine baumeln, zerpflückt melancholisch das Blumenbukett am Armgelenk. Wieder ein kleines, geradezu harmloses Zeichen der Disharmonie, des Makels, der doch eigentlich so viel größer sein sollte und sich durch seine bloße Andeutung zum Riesen aufschwingt. Jetzt wirkt auch das Händchen Halten aggressiv und Everbody’s Darling John präsentiert ungeniert seine grausame Seite. Die labt sich so sehr am Schmerz des anderen, dass auch das Zusehen und Zuhören Schwierigkeiten zu bereiten beginnt.

Und Jason hadert

Bereits der Titel – „Medea redux“ – könnte als kleine Vorwarnung für die dritte grausame Wendung im scheinbar harmlosen Monolog gelten. Denn genau wie die berühmte Figur aus der Antike rächt sich auch diese Medea (einmal mehr großartig Daria Ivanova) an ihrem Jason. Nur, dass es in diesem Fall der frühere Lehrer ist, der die junge Frau als Minderjährige verführte. War es Missbrauch, war es Manipulation, läuft das nicht auf das gleiche hinaus? Das Publikum erfährt es nicht. Die Wörter der Frau treffen aber gerade deshalb in Mark und Bein. Das mag am Habitus der Dreizehnjährigen liegen, die Ivanova genau trifft. Es sind bedrückende Bilder, die sie evoziert. Immer wieder lässt sie den Kaugummi ploppen und hadert mit der Betonung der Automarke Peugeot. Das Lustige, Humorige liegt bei BASH – STÜCKE DER LETZTEN TAGE sehr nahe am Tragischen, am Verzweifelten. Die erwachsene Resignation der jungen Frau ist genauso dicht mit der immer noch präsenten und naiven Kindlichkeit verwoben.

BASH – STÜCKE DER LETZTEN TAGE geht unter die Haut. Das liegt auch daran, dass sich die Monologe in den Köpfen der Zuschauer*innen zu Geschichten formieren und vom Spiel der Schauspieler*in leben. Die sind in Verena Holztrattners Inszenierung mit Daria Ivanova und Jurij Diez perfekt besetzt und liefern – so viel Heldentum muss sein – eine exorbitant großartige Leistung.

 

Fotonachweis: Piet Six

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