Die Wiener Theatervagabunden
Sommerliches Off-Theater in der Bundeshauptstadt: Erhard Pauer inszenierte am Armen Theater Wien das gelungen heitere Verwirrspiel VERTRAULICHKEITEN.
Theater für jedermann ist nicht nur eine häufig bemühte Floskel, sondern auch die Vision der meisten unabhängigen Bühnen. Bei den Off’lern des Armen Theater Wiens drängt sich aber das Gefühl auf, dass es sich um kein bloßes Kokettieren mit einer freien Tätigkeit handelt – nein, hier brodelt wahre Theater-Leidenschaft und wird mit bestmöglichen Mitteln an ein noch breiteres Publikum gebracht. Dabei darf es gerne auch etwas anspruchsvoller sein: So wie mit Pierre Carlet de Marivaux‘ Rokokokomödie „Les Fausses Confidences“ („Falsche Vertraulichkeiten“), das Erhard Pauer in einer Überarbeitung von Krista Pauer inszenierte.
In aller Plot-Kürze
Eine reiche Witwe befindet sich mitten im schönsten Rechtsstreit mit einem Grafen, der sie zu allem Überfluss auch noch heiraten will. Auslöser dafür sind selbstverständlich keine zarten Gefühle, sondern der eigene finanzielle Vorteil. Darauf ist Madame zwar wenig erpicht, ihre Frau Mama allerdings schon. Die reagiert entsprechend entrüstet, als die rebellische Tochter lieber einen ihr empfohlenen Berater einstellt, um die Akten nochmals zu überprüfen. Stehen ihre Prozess-Chancen tatsächlich so schlecht? Alsbald misstraut sie allerdings auch dem Berater – und der Intrigen-Reigen geht in die nächste Runde.
Geballte Wortflut
Marivaux war für seine verfeinerte Psychologie, eloquente Plaudereien und die Beherrschung von Terenz bekannt. Exzellente Voraussetzungen also für humorige Theatererfolge – und eine gelungene Blaupause für etwaige Nachfolger. Luc Bondys LES FAUSSES CONFIDENCES (2014) steuerte vermutlich die eine oder andere Inspiration für eine neuzeitliche Wiener-Fassung bei. Das Ergebnis ist eine Finanzwelt, die zum Dreh- und Angelpunkt von VERTRAULICHKEITEN wird, und ökonomischer Narzissmus, der das Movens des Abends bildet. So weit, so schlüssig. Es scheint allerdings nicht ganz zufällig, dass von den FALSCHEN VERTRAULICHKEITEN in Wien nur noch die VERTRAULICHKEITEN übrig geblieben sind. Die sind zwar noch immer alles andere als aufrichtig, aber eben doch in entschärfter Version. Stattdessen wird die Marivaux’sche Liebesposse und Bondys amouröses Intrigenspiel bei Pauer zu einer leichtfüßigen, zeitgenössischen und sprachlich divergenten Komödie. Semantisch bleibt kein Stein auf dem anderen, dafür treffen verbale Exoten auf linguistisch Wohlsituierte; eine durchaus spannende Mischung.
Maliziöses Ränkespiel
Eine Vorliebe für hübsch arrangiertes Wortmaterial besitzt auch Monsieur Rémy (Manfred Jaksch); der vorgestrige Lebemann scheint charmant wienernd geradewegs dem Fin de Siècle entsprungen. Fröhlich, unterhaltsam wirft Rémy mit Lebensweisheiten um sich und stolpert unbemerkt von sich selbst von einem Fettnäpfchen ins nächste. Auf erotische Spielereien verzichtet die Wiener VERTRAULICHKEITEN-Inszenierung. Stattdessen wird Thomas Wegscheider als entschärfter, aber rührig unbeholfener Träumer und schwer verliebter Dorante ins theatrale Rennen geschickt. Herrlich ungelenk wird er bald selbst zum Spielball von Strippenzieher Dubois und den Gegenparteien, während er peinlichst darum bemüht ist, nur ja keiner der Damen zu nahe zu treten. Dann sind da allerdings auch noch die in den Gesprächen mit Dubois immer wieder auftauchenden selbstsicheren Gesten, die Zweifel an Dorantes Integrität aufkommen lassen.
Den Intrigen-Reigen befeuert Dubois (Jörg Stelling) wie kein anderer. Der strippenziehende Regisseur des perfiden Stücks im Stück besitzt einen herrlich diabolischen Schalk, der bei Bedarf auch elegant die Ebenen durchbricht und die Figur zum Erzähler kürt. Dem Publikum werden bei diesen Gelegenheiten bruchstückhafte Anspielungen präsentiert, die zum Spekulieren einladen. Währenddessen beschleunigen leitmotivische Musik-Sequenzen die Szenenwechsel, Auf- und Abtritte. Die nutzt auch die strahlende Marton (Linda Fischer) mit ihren kleinen-großen Charakterschwächen als Bühne. Das Ergebnis ist eine wunderbar betroffene Frau, die Dubois in die Hände spielt.
Krista Pauer verleiht der gräflichen Witwe eine sympathisch chaotische und aristokratische Attitüde. Mit ihrer Privatsekretärin Marton pflegt sie ein durchaus freundschaftliches Verhältnis, gleichzeitig steht sie dem finanziell ruinierten Dorante skeptisch gegenüber. Die inneren Kämpfe Aramintes trägt Pauer expressiv nach außen, und wird zusehends zum Opfer ihrer eigenen Eitelkeit. Durch ihre Offenherzigkeit unterscheidet sich die Figur auf erfrischende Art und Weise vom geheimniskrämerischen Rest. Köstlich auch die spitzzüngige Mama – Madame Argante (Beatrice Gleicher). Dünkelhaft macht sie keinen Hehl aus ihrem Widerwillen und ihrer Skepsis gegenüber dem neuen Berater; großzügig verteilt sie trockene Hiebe und setzt ihre Ironie in großen Dosen ein. Schließlich wäre eine Verheiratung ihrer Tochter mit Dorimont vor allem auch zu ihrem eigenen Vorteil. Den Grafen mimt Aris Sas als arroganten und eloquenten Adeligen; der akzentuiert sein Standesbewusstsein nicht nur mit einer Klaviereinlage, sondern auch mit Hang zur Philosophie. Ungeniert reiht er Metapher an Metapher und betont seine selbst attestierte Lebenserfahrung und ‚Übermenschlichkeit‘ mit lyrischen Ambitionen. Wenn er sich in Reden über das Glück ergeht, drängen sich unwillkürlich Analogien zu Nietzsches Zarathustra auf („Was liegt am Glücke!“ antwortete er [Zarathustra], „ich trachte lange nicht mehr nach Glücke, ich trachte nach meinem Werke.“).
Zeitsprung
Das Arme Theater Wien ist ohne festes Haus und mietete sich für VERTRAULICHKEITEN in das Wiener Volksliedwerk ein. Ein wunderbarer Zufall oder genialer Schachzug? Schließlich harmonieren Inszenierungsstätte und Stück großartig: Der Spiegelsaal des Bockkellers bildet das optimale Setting für den adeligen Salon und wird bis in die letzte Glastür bespielt.
Eine Moral darf natürlich auch bei einem überarbeiteten Rokokostück nicht fehlen, so viel Zeit muss sein. Kleiner Tipp: Untreue lohnt sich nicht. Und das Arme Theater Wien? Das ist vielleicht arm an Requisiten, dafür aber reich an Spielfreude und Ideen. (Und ohne Ausstattung lässt es sich ohnehin viel besser vagabundieren 😉 ).
Fotonachweis: Christian Vondru // Armes Theater Wien
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