Carte Blanche

Carte Blanche – ein Experiment (ein Probenprozess) im öffentlichen Raum | cieLaroque & Szene Salzburg

Stand by them – CARTE BLANCHE | cieLaroque & Szene Salzburg

Wo gibt es denn schon eine performative Sneak-Peek? Bei cieLaroque, das den Probenprozess für CARTE BLANCHE kurzerhand in den öffentlichen Raum verlegte. Und Mozart ist ganz grün im Gesicht.

Da stand er jetzt also, der Mozart. Stolz, distanziert und irgendwie grünstichig in luftiger Höhe bekam das Denkmal am gleichnamigen Platz eine weitere Funktion. Neben touristischer Selfie-Kulisse wurde es beim ZWISCHENRÄUME Festival zur steingewordenen Metapher einer performativen Sneak-Peek (Konzeption, künstlerische Leitung, Choreografie: Helene Weinzierl, Musik Arrangement & Komposition: Oliver Stotz).

Sneak-Peek deshalb, weil CARTE BLANCHE eigentlich erst nächstes Jahr im Zuge der Sommerszene 2021 Uraufführung feiern wird. Die Zeit bis dahin ist allerdings noch recht lange. Also bespielt die Performance aus der Schmiede von cieLaroque in Kooperation mit der Sommerszene probeweise bereits das ZWISCHENRÄUME Festival. Das ist sinnig und nicht nur Mozart scheint anwesend, sondern auch die eine oder andere Muse. Schließlich wandelte sich das prognostizierte Wetter von angekündigtem Regen in strahlenden Sonnenschein. Wenn das die Götter wüssten…

Bühne aus Kreidelinien

Ein mit Kreide gezeichnetes Quadrat bildet die Bühnenfläche. Corona bedingt wird zwar auf mehr Abstand im Publikum geachtet, der Performance tut das aber keinen Abbruch. Im Gegenteil, liefert der krönchenbehaftete Virus doch gleich auch einen Teil des Plots. Alles dreht sich um die „paradoxe Kombination von Voyeurismus und Partizipation, Nähe und Distanz, Fremdheit und Intimität“. Dafür begibt sich die Kompanie auf körperliches Terrain und stellt die Frage in den Raum, ob Nähe oder die Reduzierung körperlicher Distanz Intimität schaffen oder doch eher zu einer psychologischen Distanz zwischen Darsteller*innen und Publikum führen.CieLaroque (c) Petra H. Hinterberger

Für das Herantasten an eine experimentelle Antwort erhält das Ensemble die sprichwörtliche Carte Blanche.  Einsam wiegt sich der Tänzer (Alberto Cissello) zu den elektronischen Klängen aus den Lautsprechern, ehe sich eine zweite Tänzerin (Azahara Sanz Jara) zu ihm gesellt. Die Bewegungen der beiden spielen mit den vorab erwähnten Thematiken. Nähe und Distanz drücken sich in ihrer Körperlichkeit, im Spiel miteinander aus. Aus den Zuschauerreihen lösen sich peu à peu weitere Mitglieder des Ensembles (Claudia Fürnholzer, Luan de Lima, Nejma Larichi). Was wie zufällig oder ein Flashmob wirkt, ist wohl arrangiert. Gleichzeitig wird die angesprochene Nähe auch durch Kommunikation evoziert. Wirklich stumm ist hier nur der grünstichige Komponist in luftiger Höhe. Die Tänzer*innen indes kommunizieren miteinander. Fragen werden gestellt. Wo sind die Beine, wo der Regenbogen. Antworten werden lächelnd erteilt (Claudia Fürnholzer & Azahara Sanz Jara).

„Just smile and wave boys, smile and wave“

Lächeln, das scheint nicht nur für die Pinguine aus „Madagascar“ essentiell, sondern auch für CARTE BLANCHE. Lächeln erzeugt Publikumsnähe; deshalb wird auch immer wieder der Blickkontakt in die Zuschauerreihen gesucht, gefunden und gestrahlt. Die Theorie geht auf. Die Menschen auf der anderen Seite der weißen Kreidelinien strahlen zurück, antworten auf Fragen und tanzen in einem Fall sogar euphorisch mit der Performerin (Azahara Sanz Jara). Denn auch wenn die Bühne das begrenzte Quadrat in der Mitte des Platzes bildet, immer wieder brechen die Tänzer*innen aus und mischen sich – mit genügend Corona-Abstand – unter das zusehende Volk. cieLaroque (c) Petra H. Hinterberger

Da sitzt auch gut getarnt ein Mann (Uwe Brauns), aus dem plötzlich die Euphorie überzubrodeln scheint. Noch eben in emsigem Gespräch mit einem Grüppchen junger Frauen, tatsächlichen Zuschauer*innen, stürzt er im nächsten Moment davon und wagt die ersten Tanzschritte. Die jungen Mädchen kichern, er legt jetzt aber erst so richtig los und entpuppt sich als Teil des performativen Experiments, das mit dem Publikum fraternisiert. Wieder zurück zu ihm, zu den Mädchen. Auch das ist Nähe, wenn der Tänzer seine neuen Freundinnen in enthusiastische Gespräche verwickelt.

Nähe versus Distanz bei CARTE BLANCHE

Nähe ist vieles, auch Distanz ist immer präsent, erhält bei CARTE BLANCHE allerdings eine positive Beinote. Das Ergebnis ist euphorisch, macht gute Laune und steckt an. Stark endet dann auch dieses Experiment. Mit einem invertierten „Stand by me“, mit dem Mozart an seinen neuen Freund*innen festzuhalten scheint. Zumindest ist die Erdanziehungskraft auf einmal so unglaublich stark, dass sich das Ensemble mühsam und mit abgehackten Bewegungen davonschleppt, nur um dann unauffällig im Publikum unterzutauchen. Da ist er wieder, ein weiterer Flashmob-Moment, der doch so viel mehr als eine bloße und zufällige Anhäufung von Menschen ist.

 

Fotonachweis: Petra H. Hinterberger (im Beitrag), moi (Sujet)

 

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