Rock me Artus: „Artus, letzte Schlacht“ am Schauspielhaus
Laut, schlagfertig und trotzdem statisch. König Artus erlebt am Salzburger Schauspielhaus sein rockiges Revival – und bleibt erstaunlich ungerührt.
Um kaum etwas ranken sich so viele Legenden wie um König Artus, den wohl berühmtesten Hausherren Großbritanniens, und seine tapferen Recken. Was beachtlich ist, schließlich gab’s zum Ursprung der Mär‘ weder Buchdruck noch Internet, dafür aber engagierte Erzähler und Kompliatoren, die allen Widrigkeiten zum Trotz eine inflationäre Welt abenteuerlicher Ritterwesen schufen. Die trug Chrétien de Troyes aufs europäische Festland (ha, Männer tratschen also sehr wohl!), wo der Hype erst so richtig in die Vollen ging. Einige hunderte Jahre später knüpft nun auch Jérôme Junod an die erfolgreiche Legende an – mit mindestens ebenso viel inhaltlicher Inkongruenz wie seine Vorgänger.
Artus, letzte Schlacht
Dass Jérôme Junod seinen ganz eigenen Artus schuf, ist so konsequent wie mutig. Schließlich konkurriert das Sujet dieser Tage mit literarischen Bestsellern, filmischen Perlen, gänzlich Sinn befreiten Blockbustern und der einen oder anderen (halbseidenen) TV-Serie. Da wird es schon schwer, dem Entertainment-Charakter gerecht zu werden und trotzdem ein gewisses Maß an Anspruch zu erfüllen. Hilfreich ist hier die Offenheit der Artuslegende. Nichts muss, alles kann. Oder mach‘ es wie Richard Wagner: Wirf alle Varianten in ein Stück, rühre kräftig um und warte ab, was passiert. Zum Glück ignorierte Jérôme Junod diese Herangehensweise. Allerdings bediente auch er sich an den Vorgängern und nahm Wolframs „tumben Tor“ Parzival allzu wörtlich. Dessen naiver Held (gespielt vom nimmermüden Lukas Koller) jagt wie im Wahn über die Bühne und räumt die Kontrahenten humoresk, aber tollpatschig aus dem Weg. Leider, möchte man anmerken. Schließlich beraubt diese Übersteigung Percevals die Figur um all ihre immanente Heroik.
Spannender Aspekt, der Autor als Regisseur
Die Möglichkeiten zur eigenen Interpretation sind für die SchauspielerInnen bei „Artus, letzte Schlacht“ eingeschränkt. Schließlich inszeniert hier der Regisseur sein eigenes Stück. Da dürfte das Gros der Figuren bereits fertig gebacken mit dem Textbuch geliefert worden sein – zumindest in der Auslegung des Regisseurs/Autors. Der Beginn lässt sich vielversprechend an; mit Schattenspiel und humorig juvenilem Artus (Theo Helm), der naiv mit Guinevere (Christiane Warnecke) flirtet. Dass in der zweiten Szene von den Idealen der beiden so gar nichts mehr vorhanden ist, verwirrt bestenfalls. Vielleicht liegt es am Zeitsprung, der in diesem und späteren Fällen zu viel offen lässt und stattdessen die Inhomogenität feiert. Was sich allerdings, man ahnt es bereits, nicht sinnstiftend auswirkt. Im Gegenteil. Die Jahre ziehen ins Land, die Figuren rekapitulieren das Geschehene und die Fragezeichen über dem Kopf wachsen.
Minne 2.0
Dieser Artus offenbart ein merkwürdiges Phänomen: Der titelgebende Held wird zur Nebenfigur. Ähnlich eines Gunthers im Nibelungenlied, der sich von Hagen vorführen lässt, wandelt sich auch Artus zur Marionette. Nur, dass es rezeptionsgeschichtlich eigentlich ganz anders ist und Hagen hier auf Kay hört (Jens Ole Schmieder). Wer sich jetzt die berechtigte Frage stellt: Kay wer? Keine Angst, kein längst verschollener Charakter, sondern ein Neuzugang von Jérôme Junods „Artus, letzte Schlacht“. Übrigens einer, dem man auch gerne biblische Parallelen attestieren würde. Erinnert doch bereits sein Eigenname an Kain und das Buch Genesis. Also jener Figur, die den Bruder aus Eifersucht an die Gurgel geht und den ersten Mord in der Bibel begeht. Zufällige Parallelen dürfen gezogen werden. Auch wenn es Kay (Achtung, Spoiler) nicht gelingt, den Bruder aus dem Weg zu schaffen, so sitzt der Neid tief, dem Jens Ole Schmieder mit wunderbar intriganter Note aggressiv Ausdruck verleiht.
Als sympathischer Softling hingegen Gawein (Simon Jaritz-Rudle). Der ist zwar durchaus mutig und heroisch, aber sobald Blanche die Szene betritt, bekommt der wackere Held Herzchen in den Augen und Vollzieht die Wandlung zum Poetry Slammer. So sieht sie also aus, die Minne 2.0. Für Merlin legte sich der Autor lyrisch ebenfalls voll ins Zeug. Die magische Legende spricht neuerdings in Alliterationen und hat die merkwürdige Angewohnheit, über Frauen mit Artus zu kommunizieren. Was ihm den Anschein eines dämonischen Lüstlings beschert. Das mag befremdlich anmuten, die Texte bergen allerdings Unterhaltungswert – jeder Poetry Slam wäre an dieser Stelle gewonnen. Und die beiden Schauspielerinnen (Christiane Warnecke und Magdalena Oettl) übersteigern die dämonische Erscheinung so exorbitant konsequent, dass die Auftritte Merlins zu einem der Höhepunkte des Abends werden. Zugegeben, zu latent gruseligen, aber die machen Spaß, an einem sonst bisweilen sehr statischen Abend.
Female Empowerment am Artushof
Neben ‚cooler Poetry‘ verleiht die rockige Attitüde von Kostümen, Musik und Bühne (Antoaneta Stereva, David Lipp, Nora Pierer) der Inszenierung ihren Schwung, die andernfalls Gefahr laufen würde, in langatmigen Dialogen zu erstarren. Dieses Dreiergespann ist übrigens sehr homogen aufeinander abgestimmt. Wobei die Bühne an ein großes Puzzle erinnert, das sich in der dystopischen Topographie langsam zur Tafelrunde mit Tendenz nach oben entfaltet. Himmelwärts vielleicht deshalb, weil es an bessere Zeiten gemahnt? Das wäre ein Moment der Transzendenz. Das Patriarchat liegt in den letzten Zügen; früher war für die Ritter alles besser und sogar Artus ist schon des Kämpfens müde (wobei er das in diesem Stück von Beginn an war). Frauen vor. Zumindest Blanche (Magdalena Oettl) scheint noch motiviert genug.
Multifunktionales dystopisches Bühnenbild
Die Tafelrunde wird zur Politbühne, auf der Galahad (Wolfgang Kandler) seinen großen Auftritt hat. Der als „Bildungsreisender“ getarnte Ritter kommt scheinbar harmlos daher, laboriert an nervösem Zittern und drängt in den Hintergrund. Bevor er eine 180 Grad Wende durchläuft und polemische Reden aus dem Ärmel schüttelt wie ein Politiker aus rechter Fraktion auf Stimmenfang: einnehmendes Geschwurbel mit großen Gesten und wenig Inhalt. Dem Volk gefällt’s, es feiert Galahad wie einen Rockstar. Vielleicht ist das Polittheater auch die Quintessenz des Stücks, die andernfalls im Dunkeln bleibt. Wenn, ja, wenn da nicht auch noch dieser Hauch von Female Empowerment wäre, das Junod der kühlen Guinevere und belesenen Blanche angedeihen lässt. Starke Frauen, die jedem mittelalterlichen Rollenbild widersprechen und aufmüpfig die Moderne aufmischen. Intelligent, selbstbewusst und ihrer Zeit voraus. Ein schöner Gedanke.
Die Figuren entwickeln bei „Artus, letzte Schlacht“ ein interessantes Eigenleben. Lancelot (Olaf Salzer) zum Beispiel läuft im Liebeswahn durch das Kriegsgeschehen und lichtet die Reihen wie ein Berserker – oder (auch wenn sich das Beispiel langsam ausleiert): Hagen. An späterer Stelle taucht die gleiche Figur seltsam entrückt als Büßer wieder auf. Komplett mit Büßerhemd und Dornenkrone. Dass dann noch eine unbefleckte Empfängnis in den Raum gestellt wird, ist vermutlich Auslegungssache, wäre aber eine zusätzliche und diesmal heitere Analogie auf die Bibel. Bleibt noch Morgan (Johanna Egger). Eine wandelbare Femme fatale, die auch als verrückte Hexe noch ganze Überzeugungsarbeit leistet. Sehr gelungen dann übrigens die Anspielung auf den Heiligen Gral, von dem bis heute niemand weiß, wie er eigentlich aussehen soll. Meistens ist die Rede von einem Kelch. Das animierte offenbar auch die Ausstattung zum preisgünstigen Pokal mit begleitendem Getüddel. Das Volk bekommt, was das Volk begehrt. Eine gelungene Pointe in einem Stück, das vor allem mit der zweiten Hälfte überzeugt.
Fotonachweis: Jan Friese
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