Annie – Landestheater Salzburg

ANNIE feiert seine umjubelte Premiere im Landestheater Salzburg und das Publikum feiert freudig mit.

Oliver Twist verkleidet sich gerne als Mädchen. Dieser Eindruck entsteht zumindest bei flüchtiger (und näherer) Betrachtung von ANNIE. Das amerikanische Cinderella-Musical von Thomas Meehan und Charles Strouse setzt mindestens genauso auf Waisenkinder, Hunde, garstige Erziehungsberechtigte und Porridge wie die prominente Charles-Dickens-Vermusicalung OLIVER. „Annie is Oliver Twist in drag“ kündeten deshalb bereits kurz nach der Uraufführung 1977 spitze Zeitungszungen und tatsächlich ist es schwer, eben nicht den Dickens’schen Roman oder das gleichnamige Musical als Vergleich zu bemühen. Die narrativen Strukturen und das Song-Repertoire, ja, sogar die Ensemble-Nummern ähneln sich zuweilen bis in die Haarspitzen („Food, Glorious Food“ versus „It’s a hard knock life“ u.v.m.). Dem lässt sich allerdings auch wunderbar entgegenhalten, dass ANNIE ausgleichende Musical-Gerechtigkeit bietet. Lang lebe das Gendern. Und warum sollen immer nur die Jungs im Fokus stehen? Fagins Bande kann jedenfalls einpacken und in Sachen Schlagfertigkeit findet Artful Dodger in Pepper sein weibliches Äquivalent.

Das Waisenmädchen Annie wartet seit elf Jahren im Heim auf die Rückkehr seiner Eltern. Das ist eine ziemlich lange Zeitspanne, nicht nur für elfjährige Mädchen. Unterdrückt und ausgebeutet durch die garstige Heimleiterin Miss Hannigan begibt sie sich deshalb irgendwann selbst auf die Suche nach ihnen.
Das Landestheater setzt mit seiner Musical-Wahl auf zwei Faktoren, denen auf der Bühne oft mit einer gewissen Skepsis begegnet wird: Kinder und Tiere. ANNIE lebt von genau diesen Bestandteilen und der Wagemut des Theaters wird dann auch flugs bei der Premiere belohnt. Die jüngsten Darstellerinnen erfreuen mit professionellen Leistungen und wunderbaren Stimmen. Meistens. Denn bisweilen verrutscht dann halt doch die eine oder andere hohe Passage. Das macht aber auch nichts, denn die Begeisterung von Annie (Clara Stein) und ihren Freundinnen wirkt ansteckend und die gelungene Choreographie (Kim Duddy) sitzt sowieso (höchst unterhaltsam „Kleine Mädchen“ oder „Das Leben stinkt“ u.a.).

K. Duddy inszenierte mit ANNIE einmal mehr internationales Musical-Flair in Salzburg. In hohem Tempo entfaltet sich ihre exzellente Personenführung mit musikalischer Begleitung des motivierten Mozarteumorchesters (Peter Ewaldt) vor einem durchwegs begeisterten Publikum. Dabei ist es vor allem Franziska Becker, die als Miss Hannigan im Flower-Power-Look mit Flodders-Touch zum Aufmerksamkeitsmagneten oszilliert, sobald sie auch nur einen Fuß auf die Bühne setzt. Hysterisch kreischend, garstig durchtrieben und eifersüchtig auf ihre große Chance lauernd, begeistert Miss Hannigan und entpuppt sich gar als weiblicher Captain Jack Sparrow. Famos. Die Krönung sind dann naturgemäß die gemeinsamen Auftritte mit Rooster (Sascha Oskar Weis) und Lily (Anna Carina Buchegger), die nicht nur KISS ME, KATE oder WEISSE RÖSSL-Reminiszenzen evozieren, sondern auch wunderbar intrigieren und eigentlich noch viel mehr Aufmerksamkeit verdienen (aka größere Rollen aka ach was, gebt ihnen doch gleich ein ganzes Musical 😉 ).

Das Bühnenbild besticht durch seine Simplizität und beheimatet trotzdem einen Hauch von Märchen, das sich in der Weltwirtschaftskrise verlaufen hat. Grau und unwirtlich der Schlafsaal der Kinder und dennoch ungemein praktisch und erhöht, um auch den Letzten im Saal keinesfalls die großartige „Das Leben stinkt“-Performance  vorzuenthalten (Englisch vermutlich bekannter: „It’s a hard knock life“).

Übrigens schade, dass der Präsident (Elliott Carlton Hines) nur der Präsident ist. Voluminös und voll ertönt sein Bariton, der bereits in CARMEN entzückte und erschüttert mit seiner Stimmkraft beinahe das improvisierte Kabinett mit der auffallenden Idiomen-Vielfalt (ein wahres Paradies für ambitionierte Sprachwissenschaftler). Währenddessen sollte Warbucks (Uwe Kröger), der vokal ein wenig angeschlagen scheint, ruhig ein bisschen länger bei seinen amüsanten Dialogen mit der immer fröhlichen Annie verweilen, die sich als humorige Höhenflüge entpuppen. Apropos, die Ausgelassenheit war an diesem Abend omnipräsent und sprang gar auf den vorbildlich agierenden und seinen menschlichen SchauspielkollegInnen gerne das Gesicht ableckenden Hund Sandy (Melba) über, der sich kurzerhand auf der Bühne raffiniert seines rustikalen Halsstrickes entledigte und gemächlich in die Kulisse trabte. C. Stein reagierte gelassen und kaum verschwunden, tauchte Sandy, hinter der Bühne vermutlich schnurstracks in die andere Richtung geschoben, bereits wieder auf, um dem Mädchen freundlich entgegenzutraben. Und einmal über die Hand sabbern war dann auch noch drin. So viel Zeit muss schon sein.
Da war es dann auch schon ziemlich passend, dass U. Kröger beim Schlussapplaus beinahe von einem zu tief fliegenden Blumenstrauß getroffen worden wäre und H. Kastner S. O. Weis sprichwörtlich in die Arme lief. Okay, gegen die Arme. Eigentlich gegen die ganze rechte Körperhälfte. Weis parierte elegant. Und dann fiel auch bereits der Vorhang und ein bisweilen ekstatisches Publikum erging sich in stehenden Ovationen. It’s a hard knock life… oder halt auch nicht. 😉

 

Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger

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