„Ding-Dong! Die Hex‘ ist tot“. Am Salzburger Landestheater feierte mit Richard Panzenböcks Inszenierung des berühmten Klassikers „Der Zauberer von Oz“ ein pfiffiges Familienstück Premiere, das so viel mehr ist als nur eine Produktion für die Jüngsten.
Ein Wirbelsturm, und zack, die Welt von Dorothy steht auf dem Kopf. Damit hat es das kleine Mädchen aus Kansas noch relativ gut getroffen. Die böse Hexe des Ostens nämlich liegt unter den Überresten des mitgebrachten Eigenheims begraben. Flach wie eine Flunder und mausetot. Dorothy zieht sie in Form einer menschengroße Kopie hervor und klaut ihr mit den besten Absichten noch schnell die berühmten Glitzerschuhe, die hier Glitzerboots sind. Auch wenn vieles aus dem berühmten Märchen bekannt sein dürfte, ist die erste Szene bereits eine Ansage. Das Salzburger Landestheater hat dem „Zauberer von Oz“ in der Regie von Richard Panzenböck einen neuen Anstrich verpasst. Der ist pfiffig, unterhaltsam und sehr 2023, ohne dabei aus dem Rahmen zu fallen.
Anspielungsreicher „Zauberer von Oz“
Na, wer hat Tante Em (Lisa Fertner) und Onkel Henry (Martin Trippensee) erkannt, die da so einträchtig mit Heugabel und ernster Miene nebeneinander stehen? Grant Woods Gemälde „American Gothic“ ist mit ihnen wiederauferstanden. Diese Satire auf den Provinzialismus oder doch eher realistisches Abbild konservativer Kleinstädter? Das bleibt den Betrachter*innen selbst überlassen zu entscheiden. Jedenfalls fügt sich dieses visuelle Zitat ganz hervorragend in den bunten Andeutungsreigen, das den „Zauberer von Oz“ schon seit immer umwabert (Bühne & Kostüme: Geraldine Massing). Zugleich gibt das Bild von Tante Em und Onkel Henry den subtilen ironischen Ton vor, mit dem die Regie aus dem Familienstück ein eben doch nicht reines Kinderstück gezaubert hat.
Einer für alle, alle für einen
Die Botschaft ist klar, noch bevor Dorothy (wunderbar motiviert: Leyla Bischoff) im blaukarierten Kleid, mit dem Handwerksgürtel von Baumeister Bob und Cowboyhut selbstbewusst losmarschiert, und ihre drei Gefährt*innen aufsammelt. Freundschaft überwindet alle Hürden und wird auch die böse Hexe des Westens besiegen (herrlich grün und gemein: Martin Trippensee). Es sind aber die lockeren Dialoge und Wortspenden dazwischen, die für viel Amüsement sorgen. (Dramaturgie: Patricia Pfisterer, Liedtexte: Patricia Pfisterer, Richard Panzenböck, Musik: Andreas Radovan.) So gibt es neben einem Jedermann-Schreier (klar, Salzburg und so) auch eine Vogelscheuche (Gregor Schulz), die „zwar ohne Verstand, aber ganz charmant“ ist und mit Vorliebe Glückskekse schnabuliert. Denn wie neulich in einem stand, „wenn man weit genug geht, kommt man schon hin“. Diese und ähnliche Figurenzeichnungen sind entzückend, und werden vom Ensemble zelebriert (Choreografie: Kate Watson, Josef Veseley).
Eine Hommage an das Märchen
Die Vogelscheuche wird auf rührend treuherzige Weise nicht müde, auf das viele Stroh und den Mangel an Verstand in ihrem Kopf hinzuweisen. Während der Blechmann (Thomas Wegscheider) sehr gelungen und stimmstark den tragischen Verlust seines Herzens (und restlichen Körpers) beklagt. Das hat der liebenswerte Held, ganz modernes Märchen, an einen Jungen verloren, bevor eine der bösen Hexen ihr garstiges Werk an ihm vollzog. Dumm gelaufen. Allerdings nicht für die vielen pfiffigen Details in der Produktion. So kann der Blechmann vorerst nur „ö“ sagen, bis er endlich geölt wird oder leidet die Vogelscheuche unter penetrantem Heuschnupfen. Dagegen hilft selbst das Absetzen der Nase nichts. Auch das Fach für das Herz bleibt beim Blechmann vorerst leer, das Echo über der Schlucht wird in Eigenregie erzeugt und als die Löwin mit allen im Gepäck zum Sprung ansetzt, erledigt die optische Täuschung den Rest.
Der Löwe muss bei so viel Genderaffinität natürlich eine Löwin sein (Elisabeth Mackner), die großartig miaut, und bald erste Züge von Mut zeigt. In der Rolle des Zauberers steckt mit Lisa Fertner eine Frau. Geschlechter werden in dieser Produktion nicht thematisiert. Müssen sie auch auch gar nicht. Hier zählt die Ambivalenz und Widersprüche, das kann die Figur, die mit Pyrotechnik und Bühnennebel als mächtiger Magier auftritt. Der Schnurrbart fest angeklebt (oder aufgepinselt – so ganz wird das nicht deutlich), wechselt sie von einem Frauenkleid ins nächste, und tönt vollmundig, selbst als Harry Styles erscheinen zu können. Tut der Zauberer von Oz dann natürlich nicht (schade eigentlich, man hätte es schon gern gesehen); stattdessen führt er die Konstruiertheit seiner Legende vor, in dem er plötzlich selbst als Künstler auf der Bühne steht und kumpelhaft die eigenen Tricks auflistet.
Verzicht auf Klassiker
Wer auf „Somewhere over the rainbow“ wartet, wird das auch weiterhin tun. Richard Panzenböck verzichtete fast gänzlich auf den Song, der durch die Verfilmung von 1939 zu Weltruhm gelangte. Er kommt nur in einer Anleihe ganz am Schluss vor, als Dorothy pfeifend die Rückreise antritt – so ganz ohne schlechtes Gewissen auf Onkel und Tante. Dieser vollständige Verzicht auf die musikalische Prominenz ist konsequent. Das gesamte Märchen wäre ohnehin zu mächtig für ein Theaterstück ohne Überlänge. Abstriche wurden deshalb auch bei der Besetzung gemacht. Hund Toto oder die Fliegenden Affen mussten ebenfalls zuhause bleiben.
Auch das Bühnenbild ist viel weniger fantastisch, als man es jenseits des Regenbogens vermutet hätte. Und trotzdem mangelt es dem Publikum an nichts. Regisseur Richard Panzenböck erarbeitete mit seinem Kreativteam und den Schauspieler*innen eine ganz eigene Interpretation des Stücks und spielte sich selbstbewusst vom alles dominierenden Vorbild frei. Zwar ohne Ohrwurm-Anwärter, aber dafür mit einer Unbeschwertheit, die dem neuen „Zauberer von Oz“ ganz vorzüglich zu Gesicht steht, und obendrein sehr viel Lust macht auf einen Ausflug nach Oz.
Fotonachweis: Christian Krautzberger
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