Benjamin Blaikner inszenierte „Heute Abend: Lola Blau“, Georg Kreislers größten Theatererfolg, auf der Bühne der Sonderbar im Schauspielhaus Salzburg.
„Wissen’s eh, wie’s hoit is…“ tönt es an diesem Abend immer wieder aus dem Off, in diesem herrlich leidenden Tonfall, für den das Wienerische berühmt ist. Lola Blau (Daniela Meschtscherjakov) hat nur leider trotzdem keine Ahnung. Die junge Schauspielerin pfeift auf die Politik und freut sich auf ihr erstes Engagement, dass sie übermorgen am Landestheater in Linz antreten wird. Gut gelaunt ignoriert sie die Kassandrarufe von Onkel Paul und Freund Leo. Der eine ist mit seiner Familie bereits auf den Weg nach Prag, der andere möchte sofort mit ihr nach Basel aufbrechen. Indigniert lehnt sie ab: „Tja, der Hitler kann vertragsbrüchig werden, Lola Blau nicht!“. Daniela Meschtscherjakov schlüpft in die Rolle von Lola Blau, die nach dem Anschluss 1938 plötzlich eine Heimatlose und Getriebene ist und die Schmerzen der politischen Bewusstwerdung am eigenen Leib erfährt.
Geschichte einer Ohnmacht
Eigentlich ist „Heute Abend: Lola Blau“ ja so etwas wie ein Zufallsprodukt. Topsy Küppers, die damalige Ehefrau von Georg Kreisler, wollte einen Liederabend veranstalten, war aber vom Resultat enttäuscht. Also holte sie Kreisler dazu, der in einem vierwöchigen Marathon auf bereits geschriebene Stücke zurückgriff, sie abwandelte und in einen Handlungskontext einbettete. Die Chansons blieben, und die fiktive Figur der Lola Blau wurde geboren – versehen mit großen Teilen seiner eigenen Vita: künstlerisch wie biografisch. Nur, dass sich Kreisler als Barpianist in Amerika über Wasser hielt, während er seine Lola zum Glamourgirl degradierte. Tja, Schriftsteller müsste man sein.
„Heute Abend: Lola Blau“ ist die Geschichte einer Ohnmacht, wie Kreisler es nannte. „Sie will eigentlich nichts als ein bisschen tanzen und singen und ihrem Publikum eine Freude machen. Aber sie muss einsehen, dass es nichts nützt, nur einen kleinen bescheidenen Platz an der Sonne erhaschen zu wollen.“ In der Regie von Benjamin Blaikner wird diese Hoffnungslosigkeit thematisiert und von Daniela Meschtscherjakov nach außen getragen. Sie bringt die Sehnsüchte und Träume der jungen Frau als One-Woman-Show auf die Bühne, die durch die Flucht aus Europa alles verlor und sich in Amerika statt als Schauspielerin als Nachtclubsängerin verdingt. Musikalisch wird sie dabei großartig von Roli Wesp begleitet, der auch Schweizer Sprachkolorit zum Besten gibt.
Dort wo es weh tut – Heute Abend: Lola Blau
Die Töne gehen ins Ohr. Natürlich, „Heute Abend: Lola Blau“ ist ja auch ein Musical. Selbst wenn die Leichtigkeit in starkem Kontrast zur Schwere von Thema und Libretto steht. Genau das ist auch der Clou und die Faszination, die das Stück prägt und Georg Kreislers Handschrift trägt. Der Komponist, Sänger und Dichter war ein großartiger Wortkünstler, der die bitterbösesten Dinge mit unglaublicher Finesse auszudrücken vermochte. Da sitzt die Botschaft wie ein Schlag in die Magengrube, und geschmunzelt wird dennoch. Beachtlich ist aber auch, dass eine Schauspielerin ein Stück dieser Länge auf so charmante und zugleich ironisch-düstere Weise im Alleingang stemmt. Lola Blau durchläuft eine große Entwicklung, die schmerzhafter kaum ausfallen könnte. Da verzeiht man dann auch den bisweilen seltsam anmutenden jiddischen Akzent. Denn, entgegen der weit verbreiteten Meinung: Jiddisch ist kein drolliger Dialekt, den man beherrscht, wenn man aufs Österreichische ausweicht.
Obendrauf gab es dann noch originales Bildmaterial, in beliebiger Reihenfolge gemischt und mit stringenter Logik in die Handlung eingebaut. Das sorgte für Innehalten und zugleich für eine sehr zeitgenössische Komponente. Das Schicksal von Lola Blau erhält eine erschreckend reale Note, wie sie aktuell in großen Teilen der Welt stattfinden könnte. Trotz all des gedanklichen Inputs. Hand aufs Herz, tatsächlich wirkt die Bilderflut wie eine zügig zusammengestellte Power-Point-Präsentation für das Geschichtsreferat am nächsten Tag – inklusive sich lustig drehender Schriften.
Ein umso schönerer Zug: Statt nur auf die Akustik setzt Regisseur Benjamin Blaikner für seine Lola Blau auf Off-Töne mit Stimmen UND Gesichtern. Hier endet der PPT-Charakter auch schon wieder. Jetzt wird es richtig professionell. Die verschiedenen Figuren wurden von Kollegen des Schauspielhaus Ensembles eingesprochen (oder eingemimt). Aber auch Lola Blau erhält ihre eigene belebte Kulisse. Daniela Meschtscherjakovs intensives Mimik-Spiel sorgt dafür, dass ihre Emotionen in großer Intensität selbst die hinterste Ecke des Foyers erreichen.
Fotonachweis: Benjamin Blaikner
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