Ein Schauspiel, drei Länder. „Union Place“ feiert als transeuropäisches Theaterstück am Schauspielhaus Salzburg Uraufführung – in Koproduktion mit dem Escher Theater und dem Nationaltheater Timișoara.
Europa, du unsere Perle? Mitnichten. Vor der Pandemie war der Beziehungsstatus vieler zu ihrem Land, nun ja, schwierig. Brexit und so. Dann kam Corona und irgendwie rutschte Europa für einige Monate in den Hintergrund. So richtig glücklich scheinen aber auch danach die Wenigsten mit der Gesamtsituation. Jetzt kommt „Union Place“, eine kurze Trilogie von Elise Wilk, als Uraufführung ans Schauspielhaus Salzburg – eine Kooperation von Schauspielhaus Salzburg, dem Escher Theater und dem Nationaltheater Timișoara. Österreich trifft auf Luxemburg trifft auf Rumänien sozusagen. Zyniker würden jetzt einwerfen, „bisschen spät, oder?“. Nein. Europäisches Wir-Gefühl schadet nie und „Union Place“ feiert die transeuropäische Schauspielkunst, ganz ohne allgemeingültige Bühnensprache. Das könnte europäischer kaum sein.
In aller Plot-Kürze
In Wien begegnet Sophie Darius am Flughafen. Aus dem Flirt wird eine Affäre, die auf absoluter Ehrlichkeit fußen soll. Doch bald zeigt sich, dass Sophie ein Geheimnis hütet, das durch den Angriff Russlands auf die Ukraine bedroht wird…
In Luxemburg warten der wohlhabende Deutsche Walter und seine Frau Daniela, eine rumänischstämmige Sängerin, auf Danielas Sohn, der seine Mutter jahrelang nicht gesehen hat. Doch er ist nicht zu ihnen gefahren, um Urlaub zu machen…
In Rumänien treffen sich Mariana und Rudolf nach Jahrzehnten wieder. Als Jugendliche waren sie ein Paar, doch als er beschloss, vor der Revolution in den Westen zu fliehen, blieb sie vor Ort. Was genau in dieser Nacht passiert ist, bleibt ungewiss.
Das Letzte Abendmahl: Europa als Mikrokosmos
Bereits die erste Szene ist eine Ansage. Sophie (Christiane Warnecke) greift sich ein Mikrofon, hüpft energisch auf die lange Tafel, die sich über die gesamte Bühne des Schauspielhaus-Studios erstreckt, und legt los. Frech und selbstironisch ist sie, diese Powerfrau, die dann fast peinlich berührt vor Darius (Philippe Thelen als anfangs latenter prolliger und immer kindlicher Mittdreißiger) in die Knie geht. Tut sie zum Glück nicht. Allerdings ist der große Tisch ruiniert. Systematisch wohlgemerkt. Geknechtet von einer transeuropäischen Trilogie, die es in sich hat und sich im Laufe des Spiels zu einem Mikrokosmos Europas entwickelt, inklusive aktueller Anleihen wie Krieg in der Ukraine (Regie: Alexandru Weinberger-Bara, Musik: Georg Brenner). Da die Tafel an das letzte Abendmahl erinnert, ein schlechtes Omen für Europa? Vermutlich nein, denn in den Resten wohnt, pathetisch formuliert, noch immer die Hoffnung.
Auf der Bühne verknüpfen sich drei Geschichten, die anfangs scheinbar wahllos und ohne Chronologie nebeneinander laufen. Zur besseren Visualisierung werden Figuren und Zeitangaben an eine praktikable Bühnenwand mit schwarzer Tafelfarbe projiziert und mit weißer Kreide nachgeschrieben – doppelt hält besser (Ausstattung: Isabel Graf). Genau dort scheinen auch die Übersetzungen der Dialoge von den rumänischen Schauspielern (Cristina König & Andrei Chifu) auf und beweisen: Die deutsch-österreichischen Kollegen haben Mut zur Hässlichkeit. Damit ist aber nicht der Ugly Christmas Sweater von Walter (großartig lässig hingeworfen: Jens Ole Schmieder) gemeint, sondern die englische Aussprache der Figuren.
Stille Wasser: „Union Place“
Jens Ole Schmieder schlachtet jedes phonetische Vorurteil ungeniert aus, das die Welt gegenüber Englisch parlierenden Deutschen hegen könnte – und zelebriert dieses Massaker in vollen Zügen. In dieselbe Kerbe schlägt Sophia Fischbacher als Daniela (großartig, mit viel Temperament dargestellt), nur jetzt mit rumänischem Ansatz. Oder das, was man sich halt als Nicht-Rumänin darunter vorstellt. Das ist anfangs unglaublich komisch, erhält aber später eine immanent tragische Komponente. Das Faszinierende: Alsbald verschwimmen Untertitel und deutsche Sprache. (Zumindest, wenn man es schafft, fehlende Kommata aus den Übersetzungen auszublenden und das Faktum, dass die Groß- und Kleinschreibung schlichtweg ignoriert wurde). Das Resultat ist eine allgemein verständliche Sprache, fast so, als hätte man plötzlich einen Babelfisch im Ohr. Alex (Andrei Chifu), der eigentlich meistens nur still herumsitzt, befeuert die Geschehnisse weiter und wird zum retardierenden Moment, das alle Handlungsstränge verbindet.
Trois pays: Union Place
Was so harmlos als „transeuropäisches“ Schauspiel daherkommt, ist kein Wohlfühltheater oder Lobhudelei auf Europa. Mit Mariana (wunderbar reduziert Christina König) und Rudolf (Wolfgang Kandler behänd zwischen den Sprachen und Emotionen springend) wird eine dunkle Seite skizziert, die in wenigen Worten Grausames offenbart und trotzdem die Askese und Nüchternheit der Inszenierung wahrt. Genau das ist das Schöne an der Produktion: Auch ohne klar ausgesprochen zu sein, offenbart sich eine Tragödie, deren Dimensionen schwer zu erfassen sind. Den großen Überblick behält nur das Publikum. Das scheinbare Durcheinander der Szenen, die sich langsam entdröseln und einen knallroten Faden offenbaren, wird durch die verstärkte Anwesenheit der nicht handelnden Figuren erhöht. Sind zwei Geschichten verwoben, dann bleiben sie ab einem gewissen Zeitpunkt im Bild, als haltbar gemachte Mahnmale für das Publikum, jetzt doch bitte endlich etwas genauer hinzusehen. Ein bisschen Erklärbär, ja, aber zugleich auch eine Verdichtung der Handlung.
Und wer bei „Union Place“ nun „Trois Couleurs“ (Krzysztof Kieślowski) denkt: Danke, es lag mir auch schon die ganze Zeit auf der Zunge! Selbst wenn der Pole mit seiner Trilogie die Werte Frankreichs aufgegriffen hat, so könnte das Mini-Werk doch (unbewusst) in das transeuropäische Schauspiel eingeflossen sein. Nicht nur wegen der drei kurzen Geschichten, sondern vor allem wegen ihrer dezenten Überlappungen und der Tatsache, dass es auch hier die Liebe ist, die irgendwie alles zusammenhält, auf welch ungemütliche Weise auch immer. An dieser Stelle sollte der „Song for the Unification of Europe“ aus der „Trois Couleurs“-Reihe bemüht werden. Bitte, danke für den Ohrwurm. Die opulente Komposition mit dem altgriechischen Text basiert auf dem ersten Brief an die Korinther 13. Eigentlich der perfekte Song für dieses transeuropäische Projekt. Die Liebe nämlich ist es, die alles ausmacht und die niemals aufhört. Hoffentlich.
Fotonachweis: Jan Friese
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