„Amadeus“ als punkige Intrigenschau zur Mozartwoche 2024
Pünktlich zur Mozartwoche feiert Andreas Gergens Neuinszenierung von „Amadeus“ am Landestheater Salzburg in Kooperation mit der Internationalen Stiftung Mozarteum Premiere: Punkig, frech und voller Komplotte. Mit einem Wort: wunderbar.
Der Neid ist ein Hund – und hat den kaiserlichen Hofkomponisten Salieri in „Amadeus“ seit 1979 fest im Griff. Damals feierte das Stück von Peter Shaffer in London vor begeistertem Publikum Uraufführung. 1984 folgte ein mindestens genauso erfolgreicher Film in der Regie von Miloš Forman, der die Mozart-Hysterie noch einmal befeuerte, indem er das Sujet durch die Kinopremiere einem breiten Publikum zugänglich machte. Das brachte die Empörten auf den Schirm: Denn das Gros des Plots von „Amadeus“ besteht aus Fiktion. Ein Sakrileg für eingefleischte Mozart-Fans. Die sollten jetzt ganz tapfer sein. Regisseur Andreas Gergen holte den Stoff pünktlich zur Mozartwoche in Kooperation von Salzburger Landestheater und der Internationalen Stiftung Mozarteum erneut auf die Bühne. Partner in Crime ist niemand Geringeres als Rolando Villazón, der dem Kreativteam rund um Gergen dramaturgisch beratend zur Seite stand. Höchste Zeit für eine Pulskontrolle – und eine sehr gelungene Neuinszenierung. „Amadeus“ ist zurück.
In aller Plot-Kürze
Antonio Salieri, Hofkompositeur von Kaiser Joseph II., wird von Wolfgang Amadeus Mozart, einem ungestümen Burschen, herausgefordert, der mühelos herrliche Musik komponiert, während Salieri trotz verbissener Arbeit nur Durchschnittliches produziert. Erbittert erkennt Salieri, dass Gottes Stimme aus Mozarts Musik spricht und nicht aus seiner eigenen, und bekämpft diese Ungerechtigkeit, indem er Mozarts Leben durch Intrigen vergiftet. Doch am Ende bleibt die Frage: War Salieri wirklich Mozarts Mörder?
Frauenpower: Sona MacDonald als Salieri
Die Neuinszenierung von „Amadeus“ ist laut, sie ist stark und vor allem ist sie unglaublich durchtrieben. Das mit dem titelgebenden Mozart entpuppt sich in der Retrospektive als netter Ablenkungsversuch. Schon nach wenigen Minuten wird deutlich, der, um den es hier wirklich geht, das ist Antonio Salieri. Spannenderweise wurde er durch Sona MacDonald mit einer Frau besetzt. Schon klar, Rollentausch, total modern. Wir brechen Genderrollen auf und so weiter, gähn? Mitnichten. Sona MacDonald ist ein großartiger Antonio Salieri, oder wie sich die Figur selbst bezeichnet, ein Schutzpatron der Mittelmäßigkeit. Durchschnitt ist allerdings nur das künstlerische Talent des Protagonisten selbst. Kammerschauspielerin Sona MacDonald führt Salieri so beweglich und ausdrucksstark durch alle Facetten seines in Ungleichgewicht geratenen Seelenlebens, dass sich rasch ein Gänsehautgefühl einstellt – und Schmunzeln. Denn bei allen durchtriebenen Ränken und faulen Deals handelt es sich immer noch um ein Stück über Mozart, der mit Fäkalsprache um sich wirft und den Exzessen frönt. Köstlich die gequälte Mimik von MacDonalds Salieri, wenn der Hofkompositeur von Joseph II. zum unfreiwilligen Lauscher an der Wand wird. Die eigene Schande versteht sich da von selbst.
„Amadeus“ als Offenbarung
Zugleich verleiht die Figur des Salieri, in dem sich die Interessen und Konflikte zwischen den beiden Künstlern manifestieren, dem Stück eine göttliche Note. Mozarts Musik wird für den Italiener zur Epiphanie. Als bei Antonio Salieri endlich die Bewusstwerdung einsetzt, fällt er vom Glauben ab. Sprichwörtlich, denn um sich aus dem Mittelmaß zu retten, hatte er einst mit Gott einen ganz eigenen Pakt geschlossen. Gute Taten und ein frommes Leben als Austausch für den Ruhm, selbst wenn es schwerfällt (sehr katholisch). Aus die Maus. Mozarts Talent ist für Salieri eine Verhöhnung durch Gott, eine Erfahrung, die Sona MacDonald divers und leidvoll auf den Punkt bringt. Jetzt wird’s persönlich und Salieri tritt den Rachefeldzug gegen Gott an. Als Mittel zum Zweck dient ihm Mozart, der in „Amadeus“ in die Nähe vom Sohn Christi gerückt wird: vom Allmächtigen persönlich gesandt, um die Welt zu revolutionieren. Zumindest in der Vorstellung des Hofkompositeurs. Wer ist jetzt wirklich größenwahnsinnig. Der durchgeknallte, aber begabte junge Musikus aus Salzburg oder der Italiener mit dem scheinbar direkten Draht nach oben?
Der sakrale Charakter des Handlungsstrangs wird durch Christian Floerens Bühnenbild perfekt aufgegriffen und puristisch durchexerziert. In der Mitte prangt die Bühne in weiß beleuchteter Kreuzform mitten ins Publikum. Das betroffene Auditorium wurde kurzerhand auf den hinteren Teil der Bühne verfrachtet. Eine ganz eigene Perspektive für das Publikum, das den Schauspielern von der anderen Seite des Laufstegs bei ihrem Intrigen-Spiel zusehen darf. Und Mozart (Aaron Röll)? Der lacht und springt voller Energie freudig Zoten reißend in den eigenen Untergang.
Punkiger „Amadeus“
Man sagt ja, dass Mozart zu Lebzeiten schon eine echte Herausforderung war. Dieser Bühnen-Amadeus steht dem in nichts nach. Andreas Gergen lässt Aaron Röll als überdrehtes Genie die Bühne stürmen. Hibbelig zappelt die Figur ständig herum, als gäbe es kein Morgen. Die Arme sind immer in Bewegung, aus dem Mund sprudeln fortwährend die abenteuerlichsten Sentenzen und Einfälle. Wie ein Eichhörnchen auf Speed saust Amadeus kreuz und quer über die Bühne und frönt in unglaublicher Selbstverliebtheit der eigenen Genialität. Dieser Mozart ist ein Punk, der ausgefallene Klamotten trägt und jederzeit als Leadsänger einer Rockband oder internationaler Designer durchgehen könnte. Die Haarfarbe ändert sich je nach Szene, und dass Mozart dann auch noch mit Glitzer um sich wirft, ist mehr als stringent und wurde zu diesem Zeitpunkt bereits erwartet. Kurzum, Mozart ist unglaublich anstrengend, aber genau darin liegt auch der Zauber der Figur. Aaron Röll spielt seinen Mozart mit großartiger Leichtigkeit, einer fast schon nervtötenden Energie, die der Schauspieler aber sehr subtil zu drosseln weiß und gelungen in Wahnsinn kulminiert.
Starke Bilder
Mozart versus Salieri, das ist ein Duell zwischen Genialität und Mittelmaß, bei dem auch Live-Bilder aus einer Handkamera zum Einsatz kommen, die noch intensivere Blicke auf die Protagonisten gewähren. Lisa Fertner agiert als Constanze anfangs vordergründig im Hintergrund. Unmöglich das anfängliche Gebaren der beiden. Die Menschlichkeit dahinter entblättert sich etwas später, als Amadeus und Constanze Einblicke hinter die Fassade gewähren und die Einzelschicksale in den Fokus rücken. Die Szene von Mozarts Frau, die von Salieri bedrängt wird, lässt schaudern und rührt ungemein. Hoffnungsfroh besucht sie den Hofkompositeur, um den Gatten zu unterstützen, desillusioniert und verzweifelt stürmt sie hinaus. Starke Bilder. Der Proll-Charakter von Mozart und seiner Frau wird aber nicht nur mittels Sprachlichkeit thematisiert, sondern findet auch Ausdruck im vestimentären Code (Kostüme: Aleksandra Kica). Viel zu kurz und zu schrill sind die Kleider bei ihr, immer eine Spur zu ausgefallen und extravagant bei ihm.
Freigespielt: „Amadeus“
Wunderbar ist aber auch die Abkehr von Tradiertem. Statt dem übermächtigen filmischen Vorgänger zu folgen, setzt Andreas Gergen auf die Moderne. Statt bemehlter Perücken und Kniebundhosen also freche Haarpracht und Anzüge nach Maß für die neidverseuchte Höflingsschar (Matthias Hermann als Graf Johann Kilian von Strack, Tina Eberhardt als Graf Franz Orsini-Rosenberg, Martin Trippensee als Baron Gottfried van Swieten). Zudem zählen auch die beiden Venticelli, die zwei Lüftchen (Patricia Falk, Mehdi Salim), die Salieri abgebrüht und gierig mit immer neuem Tratsch versorgen und damit den ungekrönten Conferencier in seinem giftigen Tun unterstützen.
Das optische Bild greift die Reduziertheit der Bühne auf. Bunt sind nur die Mozarts, frei nach dem Motto, je oller, je doller. Die Bestuhlung hängt am Bühnenhimmel und kann nach Belieben gesenkt werden. Höchst praktikabel, vor allem wenn ein Teil des Publikums die Bühne okkupiert. Zugleich wird der Chor des Salzburger Landestheaters zum lebendigen Mobiliar, das wahlweise als Statisten fungiert oder wunderschön musikalisch den Abend begleitet. Die gesanglichen Einlagen komplettieren „Amadeus“ formvollendet und sorgen für noch mehr Gänsehautgefühl (Musikalische Leitung: Carl Philipp Formherz, Musikproduktion: Arno Leroy).
Fotonachweis: Tobias Witzgall
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