VÖGEL: J. Kücher & K. Kahlert

Vögel – Schauspielhaus Salzburg

„Vögel“ premiert am Schauspielhaus Salzburg

Romeo und Julia zwischen den Religionen. In Irmgard Lübkes Inszenierung von VÖGEL verbindet sich das Märchenhafte mit einer sehr zeitgenössischen Identitätskrise.

„Nun sag‘, wie hast du’s mit der Religion?“, stellt Gretchen dem Faust die weltberühmte Frage. Jene nämlich, die seit dem Entstehen der verschiedenen Glaubensformen für Uneinigkeit zwischen den Religionen sorgt. Kreuzzüge, Missionierungen, Kriege – alles kann, nichts muss. Die Technik mag einen immensen Fortschritt hingelegt haben, die Einstellung zwischen den Glaubensrichtungen nicht. Gut, Kreuzzüge sucht man inzwischen vergebens, die restlichen Problematiken sind aber nach wie vor existent. Der frankokanadische Theaterautor Wajdi Mouawad griff einen der stärksten und aktuellsten Brennpunkte auf und macht ihn zum Dreh- und Angelpunkt von VÖGEL: den Nahost-Konflikt in Israel. Irmgard Lübke inszenierte die etwas andere Familienaufstellung am Schauspielhaus Salzburg.

In aller Plot-Kürze

Der Jude Eitan liebt die Araberin Wahida. Seine Eltern David und Norah sind wenig erfreut. Als er sie zum Pessachfest nach New York einlädt, eskaliert die Situation. Eitan endeckt, dass David gar nicht der Sohn von Etgar sein kann, mit dem er einst nach Berlin auswanderte. Mutter Leah brach den Kontakt und blieb in Israel. VÖGEL: J. Kücher & K. KahlertUm den eigenen Wurzeln auf die Spur zu kommen, reisen Eitan und Wahida in das Geburtsland seines Vaters. Bei einer Grenzkontrolle nach Jordanien geraten sie in einen Terroranschlag. Eitan wird lebensgefährlich verletzt und die Familie nimmt den nächsten Flieger nach Tel Aviv. Währenddessen konfrontiert Wahida Leah mit ihrer Vergangenheit und VÖGEL entwickelt immer mehr märchenlastige Thriller-Züge.

Divergenz der Religionen

Die Anspielungen in Wajdi Mouawads VÖGEL sind reichhaltig und klar – von Shakespeares „Romeo und Julia“ bis Lessings „Nathan der Weise“. Regisseurin Irmgard Lübke lässt dabei die Religionen mit klugem Blick unparteiisch gegeneinander antreten. Voreingenommen sind hier tatsächlich nur die Figuren, die den Nahostkonflikt im Schauspielhaus Salzburg entzünden. Das Ensemble arbeitet die Divergenz der Religionen gelungen und intensiv hervor. Der Fanatismus, der die Menschheit immer dann befällt, wenn es um die Verteidigung der eigenen Glaubensrichtung geht,VÖGEL: S. Fischbacher & J. Kücher ist dicht verstrickt und greifbar. Auf der Bühne entsteht eine ähnlich bedrückende Atmosphäre, wie sie in den Gassen des realen Jerusalems herrscht. Dort, wo Ultraorthodoxe, Muslime und Christen aufeinandertreffen und Anschläge immer noch an der Tagesordnung stehen.

VÖGEL und Detailliebe

Der sehr erfreuliche Hang zum Detail durchzieht VÖGEL wie ein roter Faden. Die Grenzkontrolle in Jordanien ist bestes Beispiel dafür. Soldatin Eden (Sophia Fischbacher) löchert die Ausländerin (Kristina Kahlert als Wahida) ungeduldig mit barsch vorgebrachten Fragen. Immer mehr will sie wissen, immer abfälliger kommentiert sie die Antworten der anderen. Wer je in Israel an einer Grenze stand – oder am Flughafen – erlebt ein Déjà-vu. Die Ressentiments der Juden gegenüber der Palästinenser äußern sich in kleinen, aber effektiven verbalen Seitenhieben. VÖGEL: K. v. Harsdorf, J. Kücher & O. SalzerDer gerade eben noch bemühte Arzt (Olaf Salzer) im Krankenhaus schnaubt verächtlich, als er Wahidas arabischen Vornamen erfährt und tritt kommentarlos ab. David (Theo Helm) wirft seinem Sohn vor, ein Vatermörder zu sein, wenn er weiterhin mit Wahida liiert bleibe.

Figurenwandel

Die SchauspielerInnen glänzen mit ihrer Wandelbarkeit, die der Szenenfolge die entsprechende Spannung verleiht. Die Handlung wird nicht stringent erzählt, immer wieder kommt es zur Retrospektiven, die literarisch leicht einfügbar sind. Auf szenischer Ebene greift die Regisseurin dafür aber nicht zu öden Monologen, sondern öffnet Metaebenen. Während die SchauspielerInnen der aktuellen Rahmenhandlung zusehen, schlüpfen die anderen in die Binnenhandlung und damit die Vergangenheit. Besonders gelungen, wenn die Figuren den Wandel direkt vollziehen. Theo Helms David beispielsweise wird in der Wohnung seiner Mutter wieder zum pubertierenden Teenager. Während er eben noch voller Araberhass die jüdische Lösung propagiert und selbstbewusst auf und ab stapft, schlüpft der Schauspieler im nächsten Moment in das jüngere Ich seines Charakters. Plötzlich sind die Unsicherheiten des Jugendlichen in Gestik und Mimik greifbar, seine Verletztheit, als ihn die Mutter verstößt.

Jüdischer Witz

Großartig die Szene, als David erfährt, dass er eigentlich Palästinenser ist. Er, der größte Gegner der Araber, entpuppt sich selbst als einer von ihnen. Theo Helm lässt seine Figur fassungslos an sich herabblicken.  Die Augen starren auf die Hände, auf den Körper, der nicht mehr jüdisch sein soll. Das Entgleiten der Identität erhält ein Gesicht. Währenddessen geht die Handlung nebenan nahtlos weitergeht. Diese kurzzeitig parallel verlaufenden und doch verschiedenen Szenen, verleihen dem Stück seine ganz eigene Note. Die intensiviert auch Susanne Wende mit ihrer Darstellung der Leah. VÖGEL: EnsembleSarkastisch bis zum Anschlag, wirft die Figur mit Pointen um sich, die düsterer kaum ausfallen könnten. Jüdischer Humor bis zum Exzess. Erst peu à peu präsentiert Leah ihre verletzliche Seite, die unter der rauen, also wirklich sehr, sehr rauen Schale versteckt ist.

Der Weltenwanderer in VÖGEL

Als Rabbiner sorgt Marcus Marotte für bisweilen Schmunzeln. Mit seriösem Blick, aber ebenfalls typisch jüdischem Humor kommentiert er das misslungene Pessachfest. Als Al-Hasan Al Wazzan hat er einen weiteren Auftritt. Der mysteriöse Weltenwanderer wurde im 16. Jahrhundert entführt, an den Papst verkauft und musste zum Christentum konvertieren. In VÖGEL ist er ein weiterer Teil des roten Fadens, der durch das Stück führt.

Jakob Kücher und Kristina Kahlert schlüpfen in die Hauptrollen. Als Eitan und Wahida werden sie zu Romeo und Julia zwischen den Religionen. Eindrücklich die Reifeprozesse, die die beiden Figuren unabhängig voneinander durchlaufen. Ein Coming-of-Age Widerwillen. Während Wahida ihre Identität entdeckt, entgleitet sie Eitan zunehmend. Katharina von Harsdorfs Norah besaß sie indes nie wirklich. Sie ist wie der Rest der Charaktere eine ewig Suchende, eine weitere Weltenwanderin in der Reisegruppe Identität. VÖGEL: A. Connor & Th. HelmNervös und auf sich selbst bezogen, bewegt sie sich zwischen Deutschland, New York, Israel und ist doch tief verstrickt in den Problemen der eigenen Vergangenheit.

Ein Ende

Die Ruhe selbst strahlt Etgar (Antony Connor) aus. Selbst in der Minute seines größten Unglücks, behält er souverän die Kontenance. Er ist es auch, der die meiste Toleranz gegenüber den Arabern beweist und versucht, ausgleichend zu wirken und eine weitere Brücke zu „Nathan der Weise“ schlägt. Lessings Drama ist im Diskurs über die Religionen omnipräsent. Selbst wenn der Autor statt auf die Ringparabel lieber auf die inflationäre Verwendung des Sch****-Wortes setzt. Völlig okay, wir schreiben schließlich 2020. In das fügt sich auch das Bühnenbild homogen ein, das Videoprojektionen mit einfachem Setting verbindet. Die musikalische Untermalung greift indes das mysteriöse Element wieder auf, das Märchen vom Weltenwanderer (Musik: Fabio Buccafusco, Ausstattung: Andrea Kuprian, Licht: Marcel Busá).

Das Ende ist jetzt nicht unbedingt „happy“, kann es allerdings auch gar nicht sein. Die immer erwähnten Vögel zielen auf Simorgh, den Amphibienvogel. Der Legende nach befindet sich sein Nest am Zielort von Wahrheit und Selbsterkenntnis. Ehe das nicht gefunden ist, wird es schwierig mit einer allumfassenden Lösung. Toleranz beginnt allerdings im eigenen Kopf und das demonstriert VÖGEL auf eindrücklich und nachhaltige Weise.

 

Fotonachweis: Jan Friese

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