Plötzlich Fernweh! Schuld daran trägt das Salzburger Landestheater, das mit John von Düffels Bühnenfassung von „Die unendliche Geschichte“ ins fantastische Reich Phantásien einlädt. Großartig.
Touristikbüros und Marketing Agenturen können sich ein Stück abschneiden: Carl Philip von Maldeghems Inszenierung der „Unendlichen Geschichte“ entwickelt so eine fantastische Sogwirkung, dass es das Publikum mit Turboantrieb direkt ins Reich der Fantasie verfrachtet. Da scheint es nur konsequent, dass Zuschauerin nach der Vorstellung der Kindlichen Kaiserin am liebsten gleich selbst den nächsten Namen verpassen würde. Sicher ist sicher. Soweit muss es allerdings nicht kommen. Die Bühnenfassung von John von Düffel hat alles im Griff. Ja, genau, John von Düffel. Längst so etwas wie der Haus und Hof Autor des Salzburger Landestheater, ist der deutsche Dramaturg auch Garant für Theaterstücke, die breitenwirksam begeistern.
Neuer Wurf: Die unendliche Geschichte
„Die unendliche Geschichte“ nach Michael Ende ist John von Düffels neuester Wurf am Salzburger Landestheater. Zudem muss ihm gratuliert werden – und das nicht nur von den Erben des Autors, die hochoffiziell ihren Sanctus gaben. Wer jetzt milde lächelt und sich darüber amüsiert, dass sich Erben von großen Autoren gerne zu Gralshütern aufschwingen. Im Fall Ende hat das seinen triftigen Grund. Schließlich war der deutsche Schriftsteller mit der berühmten Verfilmung seines Romans aus den frühen Achtzigern höchst unzufrieden, die sich zudem nur aus dem ersten Drittel des Romans speiste. Ach was, todunglücklich. Verhindern konnte Michael Ende den Film nicht, dafür aber seinen Namen aus dem Vorspann streichen lassen. Viel zu actionreich, so seine Kritik, und völlig an der Intention des Originals vorbei. Dessen Zauber wiederum dürfte John von Düffel sehr präzise getroffen und Carl Philip von Maldeghem mit einer ganzen Armada an Kreativen in ein fantastisches Bühnenwerk übersetzt haben.
Sind wir nicht alle ein bisschen Bastian Balthasar Bux?
Dieses Stück verdient seinen Namen. Tatsächlich ist selbst der Ideenreichtum rund um „Die unendliche Geschichte“ schier grenzenlos. Das beginnt bei dem wunderbar hybriden Charakter der Inszenierung. Schauspieler*innen und Figuren greifen genauso nahtlos ineinander über wie die reduzierten Videoanimationen oder musikalischen Einsprengsel (Bühnenmusik: Katrin Schweiger). Zugleich wurde das Geschehen von der Buchhandlung in ein leeres Theater verlagert. Eine der wenigen richtig „großen“ Adaptionen und sehr gelungen, wenn Theater über so eine stattliche Bühne verfügt wie das Haus in der Schwarzstraße, die gerade mit Reduktion punktet.
Eingeschüchtert, leise und ziemlich introvertiert ist dieser Bastian Balthasar Bux, den Aaron Röll wunderbar interpretiert. Anfangs unscheinbar und ständig zaudernd, vollzieht sich an ihm paradigmatisch die Tragödie des Menschengeschlechts. Röll zelebriert an seiner Figur einen formvollendeten Machtrausch, ehe die Kraft der Freundschaft Bastian auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Gut, das mag jetzt kitschig klingen, wird aber tatsächlich sehr gelungen dargestellt – fast ganz ohne Pathos, aber mit viel Energie und überbordender Euphorie. Den perfekten Partner in Crime liefert Leyla Bischoff als herrlich unbeirrbarer Atréju, der seinem Freund stets zu Seite steht – selbst dann, wenn Bastian seine renitente Seite präsentiert. Ein großer Vorteil, in dieser Erstaufführung wird auch die zweite Hälfte des Romans präsentiert.
Faszination Figurenspiel
Wer kennt ihn nicht, Fuchur? Ein Glücksdrache, der Generationen junger Menschen prägte. Ganze Schulklassen pilgerten in die Bavaria Filmstudios nach München, um eine Runde auf der haarigen Echse drehen zu dürfen. Dabei ginge es doch so viel einfacher und eindrücklicher: Lasst Martin Trippensee sein Fell überwerfen und den Drachenkopf stemmen. Das Ergebnis begeistert und fasziniert auf ganzer Linie. Dieser ewig fröhliche Glücksdrache, dem Atréju unter so gar nicht glücklichen Umständen begegnete und der bei jeder Landung einen kleinen (Pardon) Rülpser hinlegt, ist entzückend. An der Stelle gebührt auch der Figurenspielkonzeption von Richard Panzenböck ein großes Lob. Es sind die kleinen Ticks der Puppen – allen voran Fuchur, die sie zu Leben erwecken; sei es durch das Blinzeln der Augen, den kecken Seitenblick oder ein verstecktes Gähnen. Die Schauspieler*innen leihen den Puppen zwar ihre Stimmen, lösen sich aber während des Spiels auf magische Weise in Luft auf.
Habe Mut, dich deiner eigenen Fantasie zu bedienen
Animation und Handlung werden eins. Die Neuentstehung Phantásiens als Urknall, der mit farbenprächtigen Bildern für Stimmung sorgt. Tobias Witzgall zauberte für den Auftritt der bösen Zauberin Xayide (Nicola Kripylo) gar ein eigenes Video. Kostüme und Ausstattung fügen sich wunderbar in diesen fantastischen Reigen ein, der die österreichische Erstaufführung der „Unendlichen Geschichte“ konstituiert. (Bühne, Kostüme, Figuren & Videos: Christian Floeren, Lichtdesign: Richard Schlager, Sounddesign: Christian Handl)
Ein bisschen Kino Feeling darf auch am Theater sein – deshalb harmonieren die visuellen Effekte auch so hervorragend mit der Bühne und befördern das Publikum auf direkten Weg nach Phantásien. Karl Konrad Koreander (Georg Clementi) ist der optimale Türhüter, der Bastian mit dezentem Tritt in den Allerwertesten auf den Weg schickt und sich am Ende selbst als Fan der Kindlichen Kaiserin outet. Dazwischen schlüpft Georg Clementi gefühlt in ein Dutzend anderer Rollen, das Gros des Ensembles tut es ihm gleich; von der herrlich langsamen Rennschenke (Lisa Fertner) über die mysteriöse Riesenspinne Ygramul (Nicola Kripylo), vom weisen Cairon (Georg Clementi), über die uralte Morla (Gregor Schulz), den niederträchtigen Werwolf Gmork (Maximilian Paier), Atréjus Pferd Artax (Tina Eberhardt) oder wie sie alle heißen. Ja, auch als die traurigsten Würmer Phantásiens und die nervigsten Schmetterlinge des Reiches liefert das Ensemble eine großartige schauspielerische Performance.
Komm mit ins Abenteuerland: Die unendliche Geschichte
Das Geheimrezept der Inszenierung, so scheint es, ist der große Spieldrang seiner Darsteller*innen. Selbst die Randfiguren, die nur den Weg des Helden säumen, werden mit Hingabe und schauspielerischer Finesse interpretiert. Hier wird Theater zu einer einzig großen Abenteuerreise, die sogar das Raum-Zeit-Kontinuum außer Kraft setzt und nebenbei noch die Macht der Freundschaft und die Wichtigkeit der Vorstellungskraft in den Fokus hebt. Habe Mut, dich deiner eigenen Fantasie zu bedienen. Das zielt mit dieser Inszenierung nicht nur auf das kleine Publikum, sondern auch das große. Märchen sind ein hartes Pflaster, dem Salzburger Landestheater gelang mit „Die unendliche Geschichte“ aber die erstaunliche Gratwanderung von Endes Texten. Jugendstoff ja, aber nicht nur. Was im Roman die Metaebene, ist im Theater mit einer Ästhetik gekoppelt, die auch Erwachsene in Bann schlägt. Da darf es auch gerne düster und dystopisch werden. John von Düffel komprimierte das fantastische Werk auf passable Theaterlänge. Großartig.
Fotonachweis: Anna-Maria Löffelberger
Artikel zum Download in PDF-Format by