Die Wildente am Schauspielhaus Salzburg

Die Wildente – Schauspielhaus Salzburg

We are family – oder auch nicht: “Die Wildente”

Im Dachboden der Ekdals steht der Haussegen schief: Irmgard Lübke inszenierte Ibsens berühmte Familientragödie „Die Wildente“ am Schauspielhaus Salzburg mit erstaunlicher Sogwirkung und verzogener Wohnzimmerwand. Anschnallen ist angesagt, die kleine Schwester der Katharsis wartet.

Wessen Lebenslüge zählt am meisten? Im Fall von Ibsens berühmter Familientragödie mit dem lieben Federvieh im Titel pfeift es das Bühnenbild bereits von den Dächern: die des erfolglosen Tüftlers Hjalmar natürlich. Entsprechend schief steht deshalb auch die Wand im trauten Dachbodenheim, das Irmgard Lübke (Regie) mit Marlene Lübke-Ahrens (Ausstattung) und Jérôme Junod (Dramaturgie) am Schauspielhaus Salzburg inszenierte – mit einem Hauch von Sägespänen in der Bühnenluft.

In aller Plot-Kürze

Alles könnte so schön sein. Hjalmar Ekdal lebt mit Frau, Kind, Vater und einem Dachboden voller Kleinvieh in ärmlichen Verhältnissen – aber glücklich. Noch. Dann taucht ein ehemaliger Freund des erfolglosen Erfinders auf: Gregers Werle. Ein Idealist, der nach Jahren in seine Heimat zurückkehrt und seinem Jugendfreund die Augen für die Wahrheit öffnen möchte – mit fatalen Folgen für die ganze Familie.

Zweigeteilte Familientragödie: Die Wildente

„Die Wildente“ besteht aus fünf Akten, die die Regisseurin in zwei publikumsfreundliche Teile aufdröselte. Die Struktur der antiken Tragödie bleibt zwar erhalten, drängt sich aber nicht in den Vordergrund. Stattdessen dominiert in den ersten Szenen das heitere, positive Element; akzentuiert durch die Musik von Georg Brenner, die leitmotivisch durch den Abend führt. Nur hie und da klingen bereits erste dunkle Töne an. Nach der Pause ist das düstere, melancholische Element plötzlich tragend und begleitet das Publikum in cineastischer Manier durch die Tragödie.

Verzogen und verzerrt ist bei den Ekdals nicht nur die Grundfeste ihres trauten Heimes. Irmgard Liebke Regiearbeit zeichnet ein liebevolles, aber finsteres Gesellschaftsporträt mit großer Wirkmacht. Diese „Wildente“ wird zum Sog, der mitnimmt, fesselt und zugleich turbulent durch die Emotionen führt. Ja, kleine Katharsis inklusive – und damit eigentlich auch schon das, wonach Gregers Werle strebt. Theo Helm mimt den von Idealismus besessenen Sohn aus reichem Hause, der einem Gerechtigkeitsfieber verfallen ist. Penibel in Outfit und Habitus gekleidet, tastet sich Helms Figur langsam voran, erkundet das Terrain (Hjalmars Gemüt) und schlägt unerbittlich zu.

Die Erfahrung lehrt: Selten sind die, die sich für wahrlich gerecht halten, auch tatsächlich im Recht. Bei Gregers folgt eine kurze Phase der Erkenntnis, in der er sein Tun bereut. Als dann aber das Kind ebenfalls ins unverschuldete Unglück gezogen wird, ist die Einsicht dahin. Alles zurück auf aalglatter Einflüsterer, der im akuten Gerechtigkeitswahn selbst das Kind zur Waffe treibt.

Persifliertes Dichtergenie

Sehr gelungen ist die Darstellung von Hjalmar (Antony Connor) – diesem erfolglosen Tüftler, den das Spiel in die Nähe des romantischen Dichtergenies rückt. Als persifliertes Rückzugsidyll und karikiertes locus amoenus dient der Dachboden. Hinter den Brettern gehen Hjalmar und sein Vater Leutnant Ekdal regelmäßig auf Kaninchenjagd. Entzückend verschroben diese gefallene Jagdgesellschaft, die dennoch niemals ins Possenhafte abdriftet.

Hier legte die Regie den Fokus auf das humorige Element. Während Gina Ekdal den Laden mit einer Mischung aus Resignation und bedingungsloser Liebe zum Mann wuppt, lümmelt der Göttergatte heldenmütig auf der Couch und träumt von großen Taten. Die kommen werden. Demnächst. In der Zukunft. Hört sich bekannt an? 😉 Irgendwann ist das Publikum so konditioniert auf Hjalmars Visionen sowie den Schall und den Rauch, die darauf folgen, dass regelmäßiges Lachen aus den Zuschauerreihen hörbar werden, sobald sich das verkannte Genie wieder euphorisch in Pose schwingt. Die Sympathiepunkte sind klar verteilt – und Hjalmers Größenwahn steht nicht auf der Empfängerliste.

„Die Wildente“ – Stilles Spiel

Den Leutnant mimt Marcus Marotte mit einer trunkenhaften Ernsthaftigkeit, die ans Herz geht und leise, aber umso nachdrücklicher berührt. Vom Leben gebeutelt und den Freunden im Stich gelassen, flüchtet sich Hjalmars Vater in die eigenen vier Wände – und den Alkohol. Die Wurzel des Übels aber, Hakon Werle (selbstsicher gelassen Harald Fröhlich), steht über den Dingen und manipuliert aus der Ferne. Nur kurz taucht er in persona auf und tanzt ausgelassen mit Frau Sørby (lebensfroh Susanne Wende) oder streitet sich mit dem Sohn. Das Bild, das die anderen von ihm zeichnen, ist ein düsteres; von Arroganz und (Macht)missbrauch geprägt.

Ein Missbrauch wie der, der von Gina Ekdal (Julia Schmalbrock) angedeutet wird. Schmalbrocks ruhige Darstellung des ehemaligen Hausmädchen und jetzt Fotografin ist genauso wie die ihres Kollegen Marcus Marotte durch ihre Reduktion äußerst eindrücklich. Ruhig und beherrscht verweilt Gina meistens im Hintergrund, das Unglück erwartend, das irgendwann über ihre Familie hereinbrechen wird. Dennoch trägt die Figur zugleich etwas emergent Emanzipatorisches; eine moderne, selbstbewusste Note, die der Zeit voraus ist, sich aber zugleich homogen ins Geschehen einfügt.

Rotziger Auftritt

Wenn man Johanna Klaushofer länger bei ihrem Spiel zusieht, vergeht jegliches Gefühl für das Alter. Mit kleinen, aber effektiven Ticks wird die junge Frau zum naiven kleinen Mädchen, zu Hedwig. Die traurige Schlüsselfigur, die heimlich liest, obwohl sie damit ihre Sehkraft riskiert, oder um die Aufmerksamkeit des Vaters buhlt. Allerdings kommt es auch hier wieder zum unerwarteten und unstimmigen Bruch mit der Stringenz. Während sich davor alle liebevoll um das Kind kümmern, wird es jetzt zwar vom Vater verteufelt (so weit, so handlungslogisch), aber auch die Mutter würdigt sie keines Blickes mehr, obwohl der introvertierte Beinahe-Teenager plötzlich wie ein Kleinkind mit hysterischem Wutanfall brüllend im Raum steht. Kurz danach haben sich Aktion und Reaktion der beiden Schauspielerinnen wieder harmonisiert und stehen in Relation zueinander.

Den vermutlich rotzigsten Auftritt feiert Jens Ole Schmieder als Dr. Relling. Laut, frech und wortstark schwingt er seine Reden und knallt Gregers energisch eine Unflätigkeit nach der anderen an den Kopf. Zugleich ist es der Trunkenbold, der den Finger treffsicher in die Wunde legt und mit philosophisch-analytischem Scharfsinn konstatiert: „Wenn Sie einem Durchschnittsmenschen seine Lebenslüge rauben, dann nehmen Sie ihm gleichzeitig sein Glück“. Ja, das kann Hjalmar Ekdal unterschreiben – und mit ihm vermutlich das Gros der Menschheit. Danke Henrik Ibsen. Dass sich das Publikum aber nicht im Plot verirrt, das liegt an der soliden Regiearbeit von Irmgard Lübke und dem Schauspiel der Darsteller:innen am Schauspielhaus Salzburg.

 

Fotonachweis: Jan Friese

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