Arsen und Spitzenhäubchen | Schauspielhaus Salzburg

Arsen und Spitzenhäubchen – Schauspielhaus Salzburg

Schwesterherz, geh‘ bring das Arsen g’schwind her

Heiter und temporeich präsentiert sich die schwarz-weiße Inszenierung von „Arsen und Spitzenhäubchen“ am Schauspielhaus Salzburg. Für die besondere Note sorgt der Elan des Ensembles dieser Krimikomödie im nostalgischen Gewand.

POV: Deine Tanten haben 12 Leichen im Keller, und du musst ins Theater, um den nächsten Verriss zu schreiben. Willkommen bei den Brewsters und der Festtagskomödie im Schauspielhaus Salzburg. Diese setzt mit „Arsen und Spitzenhäubchen“ auf besinnlichen Wahnsinn, pechschwarze Pointen und good old Hollywood-Reminiszenzen (Regie: Jérôme Junod, Dramaturgie: Tabea Baumann).

In der Familie lassen: Arsen und Spitzenhäubchen

Fast schon hat es den Anschein, als könnte jeden Moment Cary Grant um die Ecke biegen. Das Bühnenbild von „Arsen und Spitzenhäubchen“ ist stringent in Schwarz und Weiß getaucht. Das verleiht dem Setting nicht nur eine illustre Vergangenheitsnote, sondern wirkt zugleich wie eine Verbeugung Richtung Lichtspiel. Der Originalfilm stammt aus den 50er Jahren, mit Cary Grant in einer der Hauptrollen, und ist ein Filmklassiker in schwarz-weiß. Auch wenn Fabian Lüdicke (Ausstattung) und Jérôme Junod das ganze Farbspektrum zur Auswahl gehabt hätten, setzte das kreative Team auf reduzierte Töne: vom Mobiliar über die Polsterung der Stühle, Vorhänge, Aussicht aus dem Fenster oder Weihnachtsdeko und Kostüme. Alles wurde in Schwarz und Weiß gehalten. Eine der wenigen Ausnahmen ist der Holunderwein mit seiner leicht gelblichen Note – und das Mittel der Wahl von Abby und Martha Brewster.

Auf vier Liter nimmt Martha einen Teelöffel Arsen, einen halben Löffel Strychnin und eine Prise Zyankali. Es ist entzückend, Abby und Martha (Susanne Wende und Ulrike Arp) bei ihrem geschäftigem Treiben auf der Bühne zu beobachten. Bar jeglichen Schuldgefühls erzählen sie Neffe Mortimer (Enrico Riethmüller) stolz von ihrem mörderischen Treiben. Dass er die Jahre davor nie mitbekommen hat, dass seine Tante einsame Männer unter die Erde (besser: in ihren Keller) bringen? Liegt vermutlich daran, dass er auch nie danach gefragt hat. Manche Familiengeheimnisse bleiben besser ungelüftet.

Amoralisches Treiben

Wobei das in diesem Fall jammerschade wäre. Susanne Wende und Ulrike Arp verleihen den beiden älteren Schwestern diese großartig arglose Note. Rührend um die Neffen und ihre Mitbürger besorgt, sind sie auch Feuer und Flamme, wenn es darum geht, Männer aus Mitgefühl zu morden. Ihr Strahlen geht ans Herz, was irritiert. Schließlich ist Töten nun wirklich der falsche Anlass für so viel Freude. Besucher:innen dürfen sich trösten: Es geht (vermutlich) allen gleich, und nein, wir sind nicht Schuld.

Es liegt an der Inkongruenz von gängiger Moral und amoralischem Treiben, die in „Arsen und Spitzenhäubchen“ so bitterböse und zugleich unglaublich amüsant daherkommt und dem Stück seinen ganz eigenen Charme verleiht. Vor allem auch dank der totalen Negierung jeglichen Schuldgefühls durch die Familie Brewster. Mit Ausnahme Mortimers. Der trägt den Tod zwar im Namen, ist aber der einzige klar denkende Mensch in diesem Haus. Während sein Bruder Teddy sich für Präsident Roosevelt hält und alle naselang zur Attacke bläst – übrigens herrlich klamaukig, tollpatschig und laut dargestellt von Florian Stohr – ist Jonathan (Marvin Rehbock) ein gesuchter Serienmörder.

Riechsalz bitte!

Tatsächlich gruselt es, wenn Marvin Rehbocks Jonathan mit Kompagnon Dr. Einstein (Felix Krasser) seinen Auftritt hat. Das liegt nur zum Teil an der großartig subtilen musikalischen Untermalung, die vor allem auf Filmmusik-Momenten basiert. Zugleich karikiert das akustische Programm das eigene Medium, wenn es die Handlungen übersteigert präsentiert. So hallt es bedrohlich durch das Publikum, sobald Mortimer zu laut von Jonathan berichtet oder der brüderliche Tunichtgut höchstpersönlich vor der Tür steht. Übrigens absolut stoisch und immer mit diesem enervierend reduziertem Lächeln im weißen Frankenstein-Gesicht. Wahlweise auch einfach nur aggressiv gebrüllt, was ebenso vielen kalten Rückenschaudern führt. Einzig der Akzent von Felix Krassers Dr. Einstein irritiert ein wenig, wird dafür aber persistent durchgehalten. Als Brophy ist der gleiche Schauspieler ein wunderbar kumpeliger lokaler Streifenbeamter.

Enrico Riethmüller pariert als Mortimer großartig und rast die gesamte stattliche Spieldauer wie ein Eichhörnchen auf Speed durch diese schwarz-weiße Krimikomödie. Erstaunlicherweise ohne, dass ihm dabei auch nur ansatzweise die Puste ausgeht – und das trotz resoluter Verlobter Elaine Harper, gespielt von Theresia Amstler, die ihm stark kontra gibt (drum prüfe, wer sich ewig bindet). Aber auch Mr. Witherspoon (Marcus Marotte) scheint als verkappter Drehbuchautor in Polizei-Montur die Lizenz zum in den Wahnsinn treiben zu besitzen, und Mr. Gibbs (Antony Connor) ist ebenfalls keine Hilfe. Der Polizist erkennt in Jonathan zwar den Serienmörder, hält die Sache mit den 12 Leichen jedoch für ausgemachten Humbug. Das kann Mortimer nur recht sein, der ohnehin die liebreizend tüdeligen Tanten beschützen möchte. Slapstickartig zelebriert er die Pointen auf die Theaterkritik und steht mit jeder neuen Leiche knapp vor einem Nervenzusammenbruch.

Kurzweilig, erfrischend naiv, rabenschwarz und trotzdem wunderbar leichte Kost: „Arsen und Spitzenhäubchen“ ist aus gutem Grund ein Dauerbrenner auf den Bühnen dieser Welt. Das Schöne an Jérôme Junods Inszenierung: Diese Produktion pfeift auf Aktualisierung und präsentiert sich lieber in alter Pracht, mit nostalgischen Reminiszenzen, aber durchaus modernen Zwischentönen. Herrlich harmlos und dabei doch so klug gemacht.
 

 

Fotonachweis: Jan Friese

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