Dreigroschenoper Salzburger Schauspielhaus

Dreigroschenoper – Schauspielhaus Salzburg

Heute steht „Die Dreigroschenoper“ auf dem Programm des Schauspielhaus Salzburg und darf alles, auch für Ohrwürmer und Denkanstöße gleichzeitig sorgen. Episches Theater, wie es sein kann, und ein Orchester, wie es sein soll.

Die Bühne als zwangloser Jazz-Club. Hier eine bequeme Couch, dort ein plüschiges Rundsofa, dazwischen jede Menge Stühle und sehr viel gedämpftes Licht. Im Hintergrund eine musikalische Combo, die in der Salzburger Szene wohl bekannt ist. Für „Die Dreigroschenoper“ schraubte das Schauspielhaus Salzburg den Gemütlichkeitsfaktor ganz nach oben – um ihn im Anschluss grandios nach unten rasseln zu lassen. Statt kulinarischer Rezeption soll ganz im Brecht’schen Sinne zum Mitdenken angeregt werden. Die behagliche Jazz-Club Stimmung darf trotzdem bleiben und wird zum Setting einer Oper für Bettler, die sich genüsslich im karikierenden Moment fläzt und ihn zu einem dreistündigen Dauerzustand erhebt (Regie: Jérôme Junod, Ausstattung: Ragna Heiny, musikalische Leitung: Gernot Haslauer).

In aller Plot-Kürze

London irgendwann Anfang des 20. Jahrhunderts. „Die Dreigroschenoper“ stellt mit Macheath, aka Mackie Messer, dem Chef eines Einbrecher- und Straßenräuberunternehmens, und Jonathan Peachum, dem Besitzer der gewerbsmäßigen Bettelei organisierenden Firma „Bettlers Freund“ zwei Unternehmen gegenüber. Als Peachums Tochter Polly den Rivalen heiratet, sinnt der gehörnte Vater auf Rache. Er will den Gegenspieler am Galgen sehen. Der wiederum lässt es sich bei seinen Huren gutgehen, anstatt die Flucht zu ergreifen. Ein Fehler, den er gleich mehrmals begeht. Auch wenn er den Galgen kennenlernt, trifft auch der reitende Bote der Königin ein.

Sing- und parodierfreudiges Ensemble

Dass die Schauspieler*innen nicht immer im Takt singen, ist gewollt. Genauso wie der nicht vorhandene Kontakt zum Orchester. Verpasste Einsätze sind das Tüpfelchen auf dem schrägen i der Dreigroschenoper-Töne. In Tradition der legendären ‚Brecht Gardine‘ werden die Umbauarbeiten nach der Pause halb sichtbar gemacht. Alles Absicht – oder auch Verfremdungseffekt, wie Germanistikstudenten schon im ersten Einführungseminar lernen. Ein weiterer Kniff à la Brecht, der auch Jérôme Junod beherzt aus dem Vollen schöpfen lässt. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, Hauptsache, das Publikum rezipiert anständig, driftet nicht ins gedankenlose Konsumieren ab und lernt: „Der Bürger ist Räuber, aber auch: Der Räuber ist Bürger“ (Bert Brecht).

Das dieser Plan aufgeht, liegt vor allem am äußerst sing- und parodierfreudigen Ensemble. Daran kann selbst die Erkältung eines der Akteure nicht hindern. Wacker singt sich Olaf Salzer aller Heiserkeit zum Trotz als Jonathan Peachum durch den Abend, während er kokett der toten Flora und Fauna in der trüben Fischkugel zuzwinkert, ihren mysteriösen Bewohner hegt und pflegt. Das lenkt die Aufmerksamkeit auf das düstere Gefäß, das auch gut und gerne als Biotop für die moralischen Zustände in der Welt herhalten könnte. Außerdem ist es ein gelungenes Paradoxon auf den Egoisten, der es zwar nicht so sehr mit Menschen hat, aber vielleicht irgendwo tief drunten wohl doch noch so etwas wie einen Herzschlag spürt.

Ihm gegenüber Macheath (Theo Helm), der wie Peachum in eleganter Montur an einen Mafioso erinnert, diesmal mit keckem Oberlippenbärtchen. Selbstverständlich wird auch an Macki Messer das Menschen verachtende Wesen greifbar, das sich wundert, von seiner früheren gar arg malträtierten Geliebten, Spelunken-Jenny (Petra Staduan), verpfiffen zu werden. Zugleich parodiert Helm mit seinem Schauspiel subtil sein Umfeld und zelebriert die hohe Kunst der Ironie, was vor allem an den Kerkerszenen deutlich wird (Ausstattung: Ragna Heiny).

„Ich möchte Sie doch bitten, Ihre dreckige Fresse zu halten“

Hinhören, das funktioniert einfach bei der „Dreigroschenoper“. Salbungsvolle Sätze stehen in derbem Kontrast zum Milieu. Das vokale ‚Battle‘ von Polly Peachum (Johanna Egger) und Lucy (Magalena Oettl) würde jeden Poetry Slammer vor Neid erblassen lassen. Hier trifft schauspielerisches Können auf Musikalität, wenn sich Lucy verkrampft an ihrem Kleid festhält und der anderen mit hoher Stimme Unflätigkeiten an den Kopf pfeffert. Die wiederum steht der Kontrahentin in nichts nach und zickt schonungslos musikalisch zurück. Zugleich bietet Johanna Egger mit ihrer sehr reduzierten, unschuldig und doch lasziven Version des „Seeräuber Jenny“ Lieds eine der schönsten Interpretationen des Abends. Tanja Kuntze wiederum ist eine wunderbare Frau Peachum, mit perfekter rauchiger Stimmfarbe für das Gaunermilieu. Petra Staduans Spelunken-Jenny hat sich dem Mysteriösen verschrieben. Der Blick berechnend, die Zigarette immer frisch und begleitet von versierten Musikern*, entsteht ein einzigartiges Setting.

Improvisationstalente in der Dreigroschenoper

Wenn schon Verfremdung, dann schon Verfremdung. Das könnte sich auch die Regie gedacht haben, als sie Frauen in Männerkostümierung losschickte. Das, oder das Ensemble gab einfach nicht mehr Schauspieler her. Wenn letzteres, dann traf sich das ganz ungemein. Johanna Klaushofer und Magdalena Oettl haben die Hosenrollen abonniert, aber auch andersherum funktioniert der Geschlechtertausch. Simon Jaritz-Rudle ist eine humorige, stolzerfüllte Hure, wenngleich die Perücke wie bei allen latent schief hängt. Perfektion wäre an so einem Ort aber auch fehl am Platz. Tiger Brown (Marcus Marotte) sitzt in dieser Inszenierung in einem Wunderding von Rollstuhl, bei dem sich Assoziationen zu Steampunk aufdrängen. Smith (Florian Stohr) manövriert den Karren durch die Kulisse und darf dann auch den sehr kreativen Zellenkäfig von Mackie Messer handhaben.

An diesem Abend könnte jeder Gegenstand auf der Bühne eine gewichtige Rolle tragen. Die Mikrofone ganz sicher, die mal hier hin, mal dorthin gezogen, geschoben oder getragen werden und immer eines bedeuten: Rampenlicht. Highlights gibt es viele, das Orchester ist ganz vorne mit dabei und sobald wieder ein Mikrofon im Fokus steht, ist eines ganz sicher, gleich geht’s wieder los. Mit den Jazz, Tango, Swing und Jahrmarkts-Tönen oder den Parodien auf Oper und Operette. Heute steht „Die Dreigroschenoper“ auf dem Programm und darf alles, auch für Ohrwürmer und Denkanstöße gleichzeitig sorgen.

 

*Musikalische Leitung, Posaune & Bass: Gernot Haslauer, Tasteninstrumente, Korrepetition & Einstudierung: Roli Wesp, Holzblasinstrumente: Manfred Grillnberger & Robert Friedl, Trompete: Josef Fuchsberger, Banjo & Gitarre: Tom Reif, Schlagwerk: Robert Kainar.

 

Fotonachweis: Jan Friese

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