Jederman | Thomas-Bernhard-Institut

Jederman – Thomas-Bernhard Institut

Eat the Rich: “Jederman”

Punkig, laut und mit dem Finger in der Wunde: Das Cineplexx City lebt. Zumindest für „Jederman“. Regisseurin Hanna Binder bespielt mit den Studierenden des Abschlussjahrgangs der Universität Mozarteum den Leerstand in Salzburg und schafft ein modernes Schauspiel, das zum Hinsehen zwingt.

Einmal mit der Buhlschaft im Bett lümmeln, mit den Guten Werken durch den Raum schunkeln oder Jedermann beim böse Pläne schmieden in der VIP-Lounge belauschen. So hautnah und modern konnte Salzburg noch nie sein berühmtes Werk erleben. Die Studierenden des Abschlussjahrgangs Schauspiel an der Universität Mozarteum rollten in der Regie von Hanna Binder den Stoff neu auf, den in Salzburg wirklich jede:r kennt. Bei diesem “Jederman” geht es aber nicht so sehr um das Sterben des reichen Mannes, als vielmehr um die Diskrepanz, die verlässlich jedes Jahr nach dem Vorhang-Fall auf dem Domplatz auch weiterhin zwischen Arm und Reich bestehen bleibt.

In aller Plot-Kürze

Das Leben hat es gut mit Erika Jedermann (Marie Luise Arnold) gemeint. Die junge Frau ist Erbin von Beruf und hat große Pläne; sie will Salzburg denen zurückgeben, denen es ihres Erachtens ohnehin gehört: den Reichen. Die anderen, die sich die horrenden Mieten der Mozartstadt nicht mehr leisten können, müssen raus. Ein Plan mit Hindernissen.

Treffpunkt Leerstand

Das Setting für das Spiel um den Leerstand findet an einer der Quellen des Übels statt: im ehemaligen Fitnessstudio des Cineplexx-City-Gebäudes. Die Besucher:innen werden mit Helmen ausgestattet und grüppchenweise von einem herrlich quirligen Teufel (Lisbet Hampe als diabolische Entertainerin) zu den unterschiedlichen Bühnen geführt (Luigi Bisogno). Denn das ist der Clou an dem Ganzen: Hanna Binder inszenierte den berühmten Stoff als modernes Stationendrama und kehrt damit auch gleich zu seinen Wurzeln zurück. Schließlich ist Hofmannsthals „Jedermann“ genauso ein Passionsspiel wie die mittelalterlichen Mysterienspielen. Bei Binder und den Studierenden des Thomas-Bernhard-Instituts erhält der Stoff aber ein gelungenes Update: Wohnungsmarkt und Co. kennen sie aus erster Hand.

„Jederman“ nimmt beinhart alles ins Visier, was in Salzburg so kreucht und fleucht, auch das Brauchtum. So zieht das Grüppchen an Schauspieler:innen bereits präventiv mit „Heidudldudu, mei Wohnung is’ weg, heidudldudu, gib mir mei Wohnung back“ ums Haus. Damit das Publikum auch wirklich weiß, worum es heute gehen wird. Trachtenanleihen und Crossdressing stehen als Mittel zum Aufrüttel-Zweck ganz groß im Fokus (Kostüme: Antonia Rossbach, Dramaturgie: Veronika Maurer).

Pfeif’ auf das Kleid

Stichwort Crossdressing: Lenz Farkas ist eine formvollendete Buhlschaft, die nach erstem Kokettieren feststellt, ohne Vorname zu sein. Amadeus König gelingt eine wunderbar grantelnde Jedermann-Mutter und Hongji Liu ist als Gute Werke der perfekte Gastgeber (mit einem erstaunlichen Gedächtnis für Familiennamen). Während Maite Dárdano als demütig agierender Guter Gesell das Publikum im Griff hat, Mariia Soroka elegant in die Rolle des Todes schlüpft oder Teufel Lisbet Hampe keck ihren Celebrity Crush auf Lars Eidinger in die Kino Gesellschaft brüllt.

Lola Giwerzew hat als leibeigener Knecht so ihre eigenen Ideen und fraternisiert mit dem Publikum (danke für die Verpflegung), ehe Markus Degenfeld als Gott das Wort ergreift und alle im Rollstuhl zum Schuldknecht manövriert. Den stellt Christoph Mierl so empathisch dar, dass man ihm am liebsten einen Job anbieten möchte. Schlimmer hat es nur die Arme Nachbarin erwischt, die irgendwo zwischen Toilette und Dusche residiert. An diesem Abend ist das Regisseurin Hanna Binder höchstpersönlich, die für ihre erkrankte Kollegin einsprang. Da jetzt aber wirklich die Stimmung am Boden ist, hilft nur noch der Glaube (Dariia Samoilenko), mit der in Steine gebrüllt wird. Wer sagt denn, dass Religion katholisch sein muss?

Eat the Rich

Ach ja, der Mammon! Den gibt Theresa Gmachl perfide ausgebufft. Sie feilscht um jede Stunde Lebenszeit. Wer hier „Momo“ denkt, liegt goldrichtig. Kokett buhlt sie um die Gunst des Publikums. Das hat Erika Jedermann (Marie Luise Arnold) nicht nötig. Selbstsicher ist Teil ihres Geburtsrecht, genauso wie ihr Erbe und jede Menge Red Bull. Aalglatt hält sie eine größenwahnsinnige Power-Rede und strahlt Erfolg aus jeder Pore. Natürlich haben die Mittellosen keine Chance. Müssen sie auch gar nicht. Denn dass „Jederman“ nach außen hin seine Wirkung entfaltet, steht außer Frage.

Die Spielfreude und das Brennen für den Stoff ist dem Schauspiel der Studierenden anzumerken und wirkt ansteckend. In Kombination mit der modernen, quirligen Inszenierung entstand ein punkig-frecher Abend mit jeder Menge Input und einem geschärften Blick auf die sozialen Verhältnisse. Nicht nur in Salzburg.

 

Fotonachweis: Paulo Jamil Sieweck // Thomas-Bernhard-Institut

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