Wut – Schauspielhaus Salzburg

Theater als Raum emotionaler Entäußerungen oder Die Katharsis der Autorin.

Anne Simon öffnet mit ihrer Inszenierung von Elfriede Jelineks WUT die Büchse der Pandora: wütend, provozierend, fragmentarisch und sehr gelungen.

Die antiken Götter waren noch nie für ihre Freundlichkeit bekannt. Immerhin wirtschafteten bereits die griechischen Heroen*innen mit Vorliebe in die eigenen Taschen und kultivierten das Intrigen-Wesen. Eines dieser liebenswürdigen Exemplare war Hera; sie belegte den verhassten Stiefsohn Herakles mit Wahnsinn. Daraufhin tötete der Halbgott wie im Rausch die eigene Kinderschar. 2015 heißen die Götter anders, auf die sich ihre selbsternannten Krieger berufen, der Wahnsinn ist allerdings ähnlich. – Einer von mittlerweile mehreren traurigen Höhepunkten waren die Anschläge in Paris. Binnen kurzer Zeit wurde in den Räumlichkeiten des Satiremagazins Charlie Hebdo sowie in einem koscheren Supermarkt im Namen eines Gottes gemordet. Diese Taten erschütterten Menschen auf der ganzen Welt, unter ihnen Elfriede Jelinek. Die österreichische Literaturnobelpreisträgerin schrieb sich daraufhin ihre Wut auf das sinnlose Töten in einem ihrer vermutlich düstersten Texten von der Seele: „Wut“.

Längst schon wurde E. Jelineks hoch emotionaler Text für das Theater dramatisiert und seit seiner Uraufführung 2016 exzessiv an deutschsprachigen Bühnen aufgeführt. Es scheint fast so, als gehöre WUT bereits zum guten theatralen Ton eines jeden Repertoires. Für das Schauspielhaus in Salzburg nahm sich Anne Simon des Jelinek’schen Gefühlsvulkans an (Ausstattung: Agnes Hamvas, Dramaturgie: Theresa Taudes, Licht: Florian Hass, Maske: Andrea Linse). Der brodelt und dampft gewaltig und stellt gleich mit den ersten Zeilen klar – hier wird nicht berieselt. Das Publikum soll stattdessen geistig am Geschehen partizipieren. Alles andere wäre auch pure Zeitverschwendung und schade um die im Sekundentakt eruptierenden  Gedankenströmen. Denen zu folgen, stellt kein leichtes Unterfangen dar, denn rasch wird deutlich: Die Autorin ist sauer, stinksauer! WUT zürnt den verschiedenen Göttern unterschiedlicher Religionen und den Menschen, die unter dem Deckmantel der Religion Gräueltaten legitimieren. Gleichzeitig wettert WUT über die eigenen Hilflosigkeit und über die Situation der Welt. Auf der Folie der Geschichte werden politische Geschehnisse skizziert und debattiert. Themen, Denkansätze, Mythen und Fragen treffen dabei unkontrolliert aufeinander und sorgen für eine explosive, aufwühlende Mischung.

Drei, zwei, eins bis zur Detonation

WUT ist genauso wütend wie provokant. Gleichzeitig ist da dieser feine unterschwellige Humor, der an manchen Stellen die Absurdität der verschiedenen göttlichen Instanzen und damit das Ur-Menschliche an der Wut belächelt. Regisseurin A. Simon greift die ironischen Reminiszenzen und menschlichen Selbstentlarvungen auf. Sie werden zum Teil der Inszenierung und sorgen dafür, dass WUT nicht im eigenen Furor ertrinkt. Stattdessen führt sich das versammelte Göttertum – das heutige wie das gestrige – mit seiner bloßen Gegenwart ad absurdum. Denn die Götter  sind alles andere als Heroen*innen. Zeus (Olaf Salzer) wirft sich imposant als Göttervater einer längst vergangenen Ära in Pose. Wallelocken, Gummistiefel und Metzgerschürze stehen ihm vorzüglich und verweisen nicht nur auf die Missetaten, die alle antiken Götter eint. Das Zeus aus der göttlichen Vergangenheit stammt, wird deutlich; früher bestimmte er über Menschenschicksale, heute darf er gerade noch beim Götterstreit als Berater zwischen Jesus und Mohammed fungieren. Auch die aktuellen Götter werden nicht von Kritik verschont. Jesus und Buddha sind bewusst Cross-gender besetzt; Alexandra Sagurna mimt den sanftmütigen Jesus, komplett im Jesus-Outfit mit rotem Herz auf dem weißen Kaftan ähnlichen Jesus-Kleid. Die sterile Bühne entwickelt mit ihrem strahlenden Kreuz im Zentrum Analogien zu den Kirchen der Televangelisten – total modern erreicht Jesus sein Publikum. Buddha (Ute Hamm) kommt ebenfalls neu daher; wie bei Jesus baut A. Simons Inszenierung in dem Fall auf die Frau im Gotteskostüm. Und wer sagt eigentlich, dass Jesus und Buddha wirklich Männer waren? Ok, Jesus vielleicht, aber sein göttlicher Vater? Verglichen mit dem sanftmütigen Jesus ist Buddha eher der tiefenentspannte Esoterik-Typ. Als Despot schwingt indes Magnus Pflüger feurige und hetzerische Reden. Währenddessen hacken alle gerne auf Mohammed (Matthias Hinz) herum. Für die Gräueltaten in Paris wird er durchaus gewalttätig zur Rede gestellt. Jesus liefert sich da schon lieber emotionale Dialoge mit der Konkurrenz. Zwischendurch ruft Papa immer wieder einmal an, also der von Jesus.

Verrückte, wütende Welt

Die Dramatisierung von Jelineks Theaterstück entwickelt sich zum figürlichen Gedankenstrom. Die Aneinanderreihung der Dialoge evoziert zum Gros einen fragmentarischen Eindruck. Es fließt nur so aus den Charakteren heraus – die ganze Wut, die schäumende. Auch eine Autorin (Ulrike Arp) ist gegenwärtig; es darf davon ausgegangen werden, dass Jelinek sich damit teilweise selbst in das Stück einbrachte. Die Figur hat einiges zu berichten; sie schreibt sich in die Inszenierung ein und ist gleichzeitig in ihr präsent. Die Autorin disputiert mit den Charakteren und spendet immer wieder (erraten!) wütende Kommentare. Inzwischen marschieren Flüchtlinge, Söldner, Journalisten und Gefangene (Corinna Bauer, Tim Erkert, Sophia Fischbacher, Jakob Kücher, Raphael Steiner) auf oder formieren sich zum Wut-Chor. Omran, das Kind aus den Trümmern von Aleppo (kindlich und ihren Teddybär fest umklammernd Christiane Warnecke) sorgt für weiteren Schrecken. Der ferne Krieg gewinnt an unheimlicher Nähe, wenn Omran traumatisiert von seiner ermordeten Familie erzählt. Auflockerung folgt zwischendurch; ironisch sitzen die Götter, der Despot und das Kind in legerer Talk-Show-Runde vor dem Publikum und teilen fröhlich ihre Gedanken, ehe die Stimmung kippt. Das schreit nach Aktionstheater: Irgendwann fliegt deshalb auch Papier aus sanitären Handspendern durch die Gegend oder wird sich keck als Stirnband um die selbige gewunden. WUT darf das. Als Dramatisierung eines Jelinek’schen Textes ist es förmlich zu exzessiven Regie-Einfällen verpflichtet. Dann erst kann sich das Publikum beruhigt zurücklehnen und dem seltsamen Treiben mit „klar, Jelinek halt!“ schmunzelnd bestätigt beiwohnen.

Lösungen bietet WUT selbstverständlich keine, auch nicht in A. Simons Inszenierung. Köstlich entrückt tanzen dafür die Götter*innen durch den Raum oder werden von Waffen bedroht. Wer sich darauf einlässt, erlebt einen spannend-kritischen Abend mit Hang zu humoriger Ironie. Denken unbedingt erwünscht! Und außerdem: WUT in Salzburg? Check! (Fehlen nur noch ungefähr sieben weitere Bundesländer).

 

 

Fotonachweis: Jan Friese // Schauspielhaus Salzburg

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