Vorhang! – Schauspielhaus Salzburg

„Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent.“

Mit Susi Webers Inszenierung von VORHANG! feierte eine äußerst unterhaltsame Komödie am Salzburger Schauspielhaus Premiere. Und die erfreut nicht nur Theaterleute und Theaterbegeisterte.

Sie ist da, endlich, die Lösung von der alle (zu Unrecht) Kritisierten immer schon heimlich träumten. Nun gut, hin und wieder. Träume sind schließlich frei und diese kleinen Rache-Fantasien nur allzu menschlich.
Der amerikanische Regisseur, Autor, Lehrer, Kolumnist und Kritiker Charles Marowitz schuf mit VORHANG! eine Komödie, die nicht nur missverstandenen Künstler*innen aus dem tiefsten Innersten spricht. Was an der Universität unter „Nachbesprechung“ fällt und bei schlechter Benotung mindestens ebenso schwer zu ertragen ist (bei guter gedeiht sie allerdings prächtig, die eigene Hybris), das fällt in der Arbeitswelt unter „Feedback“. Oder „Coaching“. Je nach Verdikt. Im Kulturjournalismus wird mit kritischer Meinung ebenfalls nicht gegeizt. Allerdings beschränkt sich das Gespräch in diesem Fall nicht auf vier Bürowände und ganz eigentlich ist es auch kein Gespräch. Nein, wenn schon, dann öffentlich. Es nennt sich „Rezension“ und erscheint im Kulturteil von Zeitungen, Magazinen oder … auf Blogs. 😉 Es liegt nämlich in der Natur des Menschen, seit es Kunst gibt, diese auch zu bewerten. Allerdings droht sich das Verhältnis zwischen schauspielender und schreibender Zunft bisweilen etwas zu verhärten. Besonders dann, wenn die Urteile immer persönlicher und subjektiver ausfallen.

VORHANG! auf.

Mitzi Crenshaw kann ein Lied von vernichtender Kritik singen. Die alternde Schauspielerin hat ihre besten Jahre hinter sich und zürnt. Theaterrezensent A. A. Charnick sorgte mit seinen beißenden, bösartigen Kritiken für ihren theatralen Untergang. Mühsam kämpfte sie sich gemeinsam mit ihrem Schauspieler-Ehemann Denis Michaelson immer wieder empor, nur um neuerlich ein vernichtendes Urteil zu erfahren. Jetzt ist die Stunde der Rache gekommen. Mitzi hat den gefürchteten und arroganten Rezensenten unter falschem Vorwand in ein leerstehendes Theatergebäude gelockt. Dort empfängt sie den hybriden Schreiberling als charmante französische Assistentin. A. A. Charnick fällt ihrer Schauspielkunst zum Opfer, wird überwältigt und muss um sein Leben bangen. Denn genau danach trachtet Mizzi und sie ist wild entschlossen.

Selten war Rache so amüsant wie in VORHANG!

Susi Webers Inszenierung greift den herrlich selbstironischen Tonfall auf, mit dem VORHANG! das eigene Medium reflektiert. Die Guckkastenbühne wird dabei zum wunderbaren Rahmen des ganz eigenen Spektakels (Ausstattung: Isabel Graf).
12.08.2016: Fotoprobe zum Schauspiel VORHANGDaniela Enzi ist eine exzellent selbstsüchtige, tief gekränkte und verbitterte Aktrice, die in ihrer großen Rolle als Rächerin ein letztes Mal brillieren möchte. Sie empfängt A. A., wie sie ihn spöttisch tituliert, mit großzügig appliziertem französischen Akzent und einem divergenten Repertoire aus weiblichen Reizen. Dem erliegt der lüsterne Kultur-Narziss ahnungslos und findet sich alsbald an einen Stuhl gefesselt wieder. Es droht ihm Tod durch Erhängen; sehr theatralisch, sehr dramatisch und höchst amüsant. Während Mitzi den Gefesselten mit ihren längst vergangenen Rollen beglückt und ein wunderbares Repertoire an überzogenen Gesten und zweifelhaftem Schauspiel zum Besten gibt, droht A. A. (Antony Connor) gerade durch ihr Schauspiel an den Rand des Wahnsinn getrieben zu werden. In Cordhosen, kariertem Jackett, Pullover und Hemd in kräftige Farben gehüllt, erhält der Kritiker den latent versnobten englischen Landadel-Chic. Köstlich sein mimischer Ausdruck, der zwischen Fassungslosigkeit, Verzweiflung, Wut und Hilflosigkeit oszilliert. Außerdem ist da noch Denis Michaelson (Harald Fröhlich), Mitzis Schauspieler-Gatte, der ebenfalls unter den Verrissen des Star-Kritikers leidet. Trotzdem wirft er sich mächtig für den Gefangenen ins Zeug; was A. A. goutiert, wird von Mitzi boykottiert. Bald droht auch dem eigenen Ehemann höchste Gefahr.

Der Humor der Komödie ist schwarz und selbstironisch. Hinter dem Vorhang poltert und stöhnt es, als Mitzi den Rezensenten in Position bringt. Slapstickartige Einschübe werden genüsslich zelebriert. Denis stolpert immer wieder versehentlich über das Seil, dessen Schlinge um den Kopf des Gefangenen liegt. Das sorgt für erneute Röchelanfälle des gemarterten Rezensenten, es folgt die höflich zerstreute Entschuldigung.

Sein oder Schein.

VORHANG! ist weit davon entfernt, Gefahr zu laufen, als flache Komödie in seichte Gewässer abzudriften. Tiefgründig und vielseitig bietet das Stück immer wieder neue erstaunliche Wege und Richtungsänderungen. Mitzi Crenshaws Vorführungen und Aktionen werden mit zahlreichen Konnotationen aufgeladen, die erst in der Retrospektive ihre volle Wirkungskraft entfalten. Alsbald wird deutlich, dass sich das mit der Lösungsfindung kompliziert darstellt. Statt sie auf dem silbernen Tablett zu servieren, hat Marowitz, dieses Multitalent, das allen Kultur-Kasten angehörte, ganze Arbeit geleistet. Gemeinsam mit der Interpretation von S. Weber schickt er das Publikum auf Wahrheitsfindung. Die Schauspieler*innen sorgen mit ihrem Spiel dafür, dass alle Spuren verschleiert werden, die der voreiligen Plot-Findung dienen könnten. VORHANG! erhält den Hauch eines höchst humorigen Psychothrillers. Die Überraschung folgt auf den Fuß.

Eine Frage bleibt allerdings leider unbeantwortet: Wurde die Figur des Rezensenten an reale Persönlichkeiten angelehnt? Vermutungen drängen sich natürlich trotzdem auf. 😉

 

Fotonachweis: Jan Friese

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