Srebrenica – Schauspielhaus Salzburg

Bilder einer Ausstellung

Am Schauspielhaus Salzburg inszenierte Peter Arp mit SREBRENICA eine subtile Chronologie des Grauens, die mit großer Wortkraft im berüchtigten Genozid kulminiert. Intensiv und berührend.

Wie lässt sich der Schrecken in Worte fassen, ohne dabei an Authentizität einzubüßen? Diese Frage beantwortet Peter Arp mit SREBRENICA. Gemeinsam mit einem fünfköpfigen Schauspielensemble näherte sich der Regisseur dem berüchtigten Massaker aus dem Bosnienkrieg an (Regie & Fassung: Peter Arp, Ausstattung: Alexia Engl, Video: Ado Hasanović, Fassungsmitarbeit & Dramaturgie: Alina Spachidis, Licht: Marcel Busa).

In aller Plot-Kürze

Vor 26 Jahren erklärte Bosnien-Herzegowina seine Unabhängigkeit von Jugoslawien – gegen den Willen der Serben. Was folgte war der grausamste Krieg in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, der im Juli 1995 in einen Genozid um Srebrenica kulminierte – unter den Augen der niederländischen Blauhelme, die die Bosniaken an General Ratko Mladić von der Armee der Republika Srpska, die Polizei und die serbischen Paramilitärs auslieferten. Mehr als 8.000 von ihnen, fast ausschließlich Männer und Jungen zwischen 13 und 78 Jahren, wurden daraufhin getötet.

Die große Stille

„Srebrenica“ ist bis heute ein Begriff, der bei den meisten leichtes Schaudern hervorruft. Von diesem fernen Unwohlsein der westlichen Kultur ist Hasan Nuhanović meilenweit entfernt. Der bosnische Dolmetscher ist einer der Überlebenden des Massakers und verlor dabei seine Familie. Erst Jahre später konnte er ihre Leichen bestatten und verklagte das Königreich Niederlande.

Wie also dem Schrecken Ausdruck verleihen, ohne an Authentizität einzubüßen? Peter Arp setzt für SREBRENICA auf Stille und Innehalten. Fast scheint es, als würde der Regisseur damit das eigene Publikum an seine Grenzen führen. Unbemerkt betreten die ersten Schauspieler die Bühne und mischen sich unter das Publikum, das auf eine Kulisse blickt, die an eine Genozid-Gedenkstätte erinnert. Weiße Pfeiler unterschiedlicher Größe ragen puristisch in den Bühnenhimmel. Eingegrenzt von Hackspänen drängen sich Parallelen zu den Grabsteinen der Opfer von Srebrenica auf. Passend dazu herrscht immer noch diese eindrückliche Stille, unterbrochen nur durch sporadisches Gemurmel, als würde selbst der Vorhang mit einer Gedenkminute fallen – ein stimmiges Konzept. Erst als Hasan Nuhanović (Matthias Hinz) die Bühne betritt, ändert sich die Atmosphäre im Saal. Das andächtige Gemurmel verstummt und das Mahnmal wird zur Kulisse der düsteren Vergangenheit. Durch Städte, Dörfer, Wälder und Berge führt sie bis nach Srebrenica. Dabei liegt das Augenmerk der Inszenierung nicht auf dem eigentlichen Massaker, wie der Titel vermuten lassen würde. Nein, Peter Arp geht subtiler vor und lässt die Schrecken anhand einer Chronologie rund um Hasan Nuhanović und seine Familie auferstehen – ohne auf drastische Bildsprache zu setzen.

Empathie-Tiefen

Ausführlich widmet sich Peter Arps Regiearbeit den Jahren vor dem Genozid und führt das Publikum sachte an das nicht in Worte zu fassende Grauen heran, das nichts mehr mit dem sanften Unwohlsein gemein hat. Dafür stürzt sich das Schauspielhaus-Ensemble in Empathie-Tiefen und leistet Erstaunliches. Tatsächlich ist die Verzweiflung und die Angst der Figuren spürbar. Gleichzeitig vermischt sie sich auf spannende Weise mit den Schauspielern*innen, die für kurze Momente die Masken ihrer Inszenierung lüften. Für die Produktion fuhr das gesamte Team nach Srebrenica, kleine Filmeinspielungen der Recherchen sind immer wieder zu sehen und werden von den Schauspielern*innen kommentiert. Plötzlich stehen sie außerhalb ihrer Rollen und zeigen die gleiche Betroffenheit, die sich auch in den Gesichtern der Zuschauer*innen spiegelt. Originalschauplätze verschwimmen mit der Bühne. Im nächsten Augenblick oszillieren die Mimen zurück in ihre Rollen. Diese Wechsel kommen unerwartet und verleihen SREBRENICA eine ganz besondere, eigene und verdichtete Note. Genau wie die Sätze, die in der stillen Atmosphäre nachhallen und gerade deshalb zur vollen Entfaltung gelangen.

Empathische Figurenzeichnung

Wer ist Hasan Nuhanović? Matthias Hinz mimt ihn mit all seinen menschlichen Facetten: Jugendlicher Elan mischt sich mit Trotz, Verzweiflung und Angst. Gleichzeitig verzichtet er aber selbst in den ausweglosesten Situationen nicht auf ironische Spitzen und verleiht den Gefühlen mit jeder Faser seines Körpers Ausdruck. Als jüngerer Bruder Muhamed zieht Magnus Pflüger pubertierend, aufbegehrend und trotz allem juvenilen Leichtsinn erstaunlich feinfühlig seine Bahnen. Der leicht ironische Unterton springt vom Älteren auf den Jüngeren und wirkt ansteckend.

Wie aus dem Nichts taucht sie in den Wortwechseln auf, die Armada der Kraftausdrücke. Ihre genaue Funktion verweilt im Dunkeln – den Sprachduktus brechen die unerwarteten Verben und Substantive grob auf. Allerdings bleibt es bei einem netten Versuch, der zu gewollt erscheint. Nachhaltiger wirken da schon die konzisen Wechsel der Ebenen: Vom Dialog springt SREBRENICA munter zur Nacherzählung und zurück. Die Schauspieler*innen oszillieren eloquent zwischen den verschiedenen Varianten und führen das Publikum sicher durch das sprachliche Labyrinth.

Als Erzählerin hält Ulrike Arp die narrativen Zügel fest in der Hand. Unaufdringlich wandelt sie zwischen den Protagonisten*innen durch das bosnische Mahnmal, rekapituliert mit intensivem Blick ins Publikum die unfassbaren Schrecken, wird zur didaktischen Mittlerin, ehe sie selbst als Figur einspringt und plötzlich im Geschehen mitwirkt. Genauso zügig wandeln sich Ibro Nuhanović (Antony Connor) und Nasiha Nuhanović (Ute Hamm) in erzählende Charaktere, die gemeinsam mit Hasan die Geschehnisse Revue passieren lassen. Immer wieder greifen sie berichtigend ein; als Ibro mit dem älteren Sohn über die Berge wandert, kann er seine Emotionen nur noch schwer unterdrücken. Der handgreifliche Streit zwischen Hasan und ihm wird dann auch ohne offensichtliche Übergriffe gerade durch diese rein erzählerische Darstellung zu einer beklemmenden und intensiven Szene. Wenn Ute Hamm als verzweifelte Mutter schreiend durch den Pfeiler-Wald irrt, sind das Momente, die bleiben – und durch die absolute Dunkelheit später noch vertieft werden.

Intensive Eindrücke

Zwei Stunden Spielzeit ohne Pause? Für das Schauspiel-Ensemble vermutlich kein leichtes Unterfangen, für das Publikum allerdings ein eindrückliches Erlebnis. Das erhält durch das großartige Schauspiel, die puristische, simple Interpretation und dem Verschwimmen der Ebene eine intensive und besondere Note – die bleiben wird. Von wegen leichtes Unwohlsein der westlichen Gesellschaft… das erfährt vermutlich spätestens nach diesem persönlichen Blick eine sprunghafte Steigerung.

 

 

Fotonachweis: Jan Friese

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